Interview
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Dirk Dobiéy & Adina Asbeck

Ein Künstler lebt in dieser Welt wie jeder andere

Interview mit dem Forscher und Professor Rob Austin

Robert D. Austin ist Forscher und Professor für Innovation und Informationstechnologie an der Ivey Business School in Canada. Gemeinsam mit Lee Devin, einem Dramaturg und ehemaligen Theaterprofessor erforscht er Unternehmensinnovation durch den Blickwinkel der künstlerischen Praxis. Ihre beiden Bücher Artful Making und The Soul of Design erkunden die markanten strukturellen Ähnlichkeiten zwischen der Welt der Theaterproduktion und der Durchführung von Projekten in Unternehmen. Austin hat keinen Zweifel daran, dass künstlerische Praktiken im heutigen Unternehmensumfeld sehr wichtig sind und vor allem “in entwickelten Ökonomien, da Kommunikations- und Transportnetzwerke so allgegenwärtig und kostengünstig geworden sind, dass sie Unternehmenskonzepte der Kostenführerschaft abwerten. Viele Firmen können an unterschiedlichen Orten am Preiswettbewerb teilnehmen, wenn sich Waren so günstig um die Welt bewegen. Und es gibt viele Orte an denen man aufgrund von strukturellen Vorteilen für einen geringeren Preisaufwand produzieren kann als in entwickelten Wirtschaftsräumen (z.B. niedrigere Löhne in Entwicklungsländern). Wenn man sich in einem entwickelten Land befindet, hat man einen strukturellen Preisnachteil. Es spielt nicht wirklich eine Rolle wie gut man ausgehend vom Preis ist, man kann trotzdem Schwierigkeiten haben mit der Konkurrenz mitzuhalten. Das zwingt viele Konzerne dazu sich zu differenzieren. Normalerweise entsteht eine Unternehmensdifferenzierung durch eine Art kreativer Handlung. Diese beinhaltet ein Wachrütteln, dass die Organisation von altmodischen Mustern, Gewohnheiten, Vorgehensweisen und Prozeduren befreit und mit etwas wahrlich neuem hervorkommt. Das ist etwas was Künstler anstreben und worin sie gut sind.” Gleichzeitig lehnt Austin ein zu idealistische und blauäugige Perspektive auf die Thematik ab. “Vor allem die Kunst, aber auch jede andere kreative Beschäftigung, erweitern die Wahrnehmung auf eine Art und Weise, oder anders formuliert, sie bereichern die Seele. Sie haben eine spirituelle Dimension. Aber ich denke, dass ich mich in meiner Arbeit davon entfernt habe das zu weit zu treiben. Zum einen befürchte ich, dass man sich damit aufs Glatteis begibt. Ich denke, es gibt eine gewisse Argumentationskette der man folgen kann und die irgendwie voraussetzt, dass Kunst die Welt rettet. Das ist eine ganz schöne Menge. Wir müssen etwas vorsichtiger damit sein, was wir angehen. Ich betone dies, meine aber nicht, dass die Kunst keinen tatsächlichen Effekt hat, glaube aber dass das Ganze extrem dramatisiert und romantisiert wird. Ich kenne Wissenschaftler die in diesem Sinne schuldig sind. Sie forschen in dem was ich Kunst im Management nennen würde. Ich denke, was sie im Grunde genommen verinnerlicht haben ist eine eher romantische Vorstellung von Kunst, als sie die meisten Künstler selbst haben. Ich glaube, Künstler gehen an ihre Arbeit von einem Standpunkt aus heran, welcher für sie und ihre Seele bedeutungsvoll und dennoch eine ziemlich praktische Angelegenheit ist. Mein Co-Autor war Drehbuchautor und hat viele Dinge beim Theater gemacht. Eine Sache die er gerne sagt ist, dass Schreiben für ihn bedeutet hat, den Kopf in seine Arbeit zu stecken und ihn für mehrere Stunden unten zu lassen. Und es dann am nächsten Tag wieder zu tun. Er war anderen gegenüber immer skeptisch die Dinge zu sehr romantisierten. Es gibt auch die Richtung wonach manche Künstler, um ein Image und eine Aura zu entwickeln, für Außenstehende eine romantische Vorstellung über das was sie tun kultivieren, aber ich denke, dass das relativ wenig mit dem zu tun hat was sie wirklich machen. Die meisten Künstler die ich über die Jahre interviewt habe und die an etwas derartigem arbeiten, versuchen nicht zu romantisieren was sie tun. Das bedeutet nicht, dass ihr Projekt unwichtig oder banal ist, sie mögen es Dinge zu schaffen”, erklärt Austin. “Ein Künstler lebt in dieser Welt wie jeder andere auch.” Dennoch, eine Welt, die durch die Qualitäten künstlerischen Handelns wahrgenommen wird, erlaubt vieles was jemand entlang kunstvoller Handlungen tut, neu zu denken, schreiben Austin und Devin in ihrem ersten Buch. Diese Qualitäten sind Befreiung (Release), Zusammenarbeit (Collaboration), Ensemble (Ensemble) und Aufführung (Play) und auch wenn diese nicht sehr anspruchsvoll klingen, repräsentieren sie doch einige wesentliche Unterschiede zu den meisten etablierten Vorgängen in der Wirtschaft. “[…Viele] von den Dingen die in diesen vier Vorgängen ausgedrückt werden, sind Dinge die nicht in den natürlichen Reflexen von Führungskräften angelegt sind, die gelernt haben in einem eher industriellen Umfeld zu managen, in welchem sie sich an Begriffen wie Maximierung, Verwertung und Wertschöpfung orientieren”, erklärt Austin. “Ich würde sagen, was wir unserem Buch beschreiben, ist in hohem Maße die Neigung zur Entdeckung. Es gibt viele Dinge in diesem Prozess die man in einem eher industriellen nutzenorientierten Prozess nicht machen würde, sowie die ganze Idee der Befreiung nicht konsistent mit dem ist, was man in einer Firma versuchen würde zu tun. In der Managementforschung gibt es Literatur zu etwas das organisationale Ambidextrie genannt wird. Dabei versuchen Organisationen beides zu tun, zu erforschen und zu verwerten (explore and exploit) und sind damit unterschiedlich erfolgreich. Wir versuchen diese Firmen aufzuspüren. Die Entscheidungshaltung (decision attitude) basiert auf logischen Rahmenbedingungen, bei denen man auf den Mechanismus fokussiert um sich zwischen Alternativen zu entscheiden. Die Kreation von komplett neuen Haltungen wie der Gestaltungshaltung (design attitude) konzentriert sich auf den schöpferischen Akt.” Ein entscheidender Unterschied für Austin ist das Konzept der Emergenz. “In vielen kreativen Prozessen, wählt man nicht zwischen Alternativen sondern entwickelt die richtige Alternative. Zu diesem Zeitpunkt ist die Wahl offensichtlich. In der finalen Situation eines kreativen Prozesses hat man sich gewissermaßen durch einen emergenten Prozess zu einer Alternative hingearbeitet,. Viele Unternehmen sind historisch in der Entscheidungshaltung verwurzelt. Sie müssen sich in Richtung Gestaltungshaltung entwickeln.”

Eine Entwurfshaltung beinhaltet für Austin auch eine gewisse Widerstandsfähigkeit; eine Fähigkeit eine Zielsetzung zu formulieren und dennoch offen genug zu bleiben um woanders anzukommen als ursprünglich geplant. “Wenn man sich in einem kreativen Prozess befindet, beginnt man häufig damit von A zu B zu gehen, landet aber bei C, und das ist nur der natürliche Lauf der Dinge. Ich stimme zu, dass kreative Prozesse, vor allem im praxisorientierten Umfeld, mit einer Zielsetzung beginnen, es aber immer mehrere Wege gibt, das Ziel zu finden. Was den kreativen Prozess auszeichnet, ist dass das Ergebnis des Prozesses manchmal nicht das Problem löst, was versucht wurde zu lösen.

Sie [die Künstler] strukturieren es auf neue Weise um, welche besser zu lösen oder zufriedenstellender zu lösen ist. Teil des kreativen Tuns, vor allem im Bereich der Gestaltung, ist es nicht das Problem oder Ziel als solches hinzunehmen, sondern es als etwas zu sehen, was umgestaltet und neu definiert werden kann. Eine klassische, elegante Gestaltungslösung ist eine, die das Problem neu strukturiert, das neu strukturierte Problem löst, und während dieses Prozesses für das ursprüngliche Problem außerdem eine Lösung findet. Man beginnt damit, dass die Herausforderung und die Zielsetzung auf eine bestimmte Weise definiert wurden und dann kommt in der Welt der Gestaltung eine Menge forschendes Handeln ins Spiel.” Sicher, diese Herangehensweise an einen kreativen Akt mit einer Gestaltungshaltung bedeutet nicht alle Antworten zu haben, manchmal sogar nicht einmal die Fragen zu kennen. Für Führungskräfte mit der Neigung zur Effizienz ist dies kein leichtes Unterfangen, erklärt Austin. “Sie haben keine Freude daran nicht in der Lage zu sein Dinge greifen zu können. Sie mögen es zu glauben, die Welt schon im Griff zu haben. Eines der Dinge welches an den Künsten grundsätzlich schwierig ist, ist dass sie die Bedeutung der Dinge ständig verändern. In vielen Bereichen, vor allem als Manager der sich für lange Zeit auf eine Industrie fokussiert hat, will man überhaupt keine Veränderung sehen. Man will alles unter Kontrolle haben. Wenn etwas, so bedeutend wie die Bedeutung selbst beginnt sich zu verändern; sieht das nicht nach etwas Gutem aus. Es sieht nach etwas aus, dass unter Kontrolle gebracht werden muss, es läuft gegen die eigenen Reflexe.” Viele künstlerische Reflexe laufen traditionellen Reflexen im Management zuwider. Viele kreative Verfahren fordern klassische Geschäftspraktiken heraus. Während Austin nicht eine oder andere Seite favorisiert, ist er davon überzeugt, dass Kreativität und Innovation der künstlerischen Seite der Dinge bedürfen. “Eine künstlerisch agierende Führungskraft wäre höchstwahrscheinlich sehr viel eher auf die emergente Natur kreativer Aktivitäten und die Art und Weise, wie kreative Handlungen sich gegenseitig nähren, eingestellt: Reaktionen zu Reaktionen zu Reaktionen als eine Möglichkeit Ideen zu bewegen. Sie wäre sehr viel offener für Differenzen hinsichtlich verschiedener Sichtweisen, da kreative Vorgänge Dinge anders wahrnehmen und fähig sind etwas wirklich originelles zu schaffen.

Ein zweiter Aspekt ist es, wenn man einmal etwas originelles und nützliches geschaffen hat, zu erkennen was man getan hat. Das ist etwas, womit Firmen große Schwierigkeiten haben. Manchmal schaffen sie etwas Neues und ziemlich nützliches, aber ihre gewohnten Prozeduren, Vorgehensweisen und Haltungen halten sie davon ab, den Nutzen zu sehen. Es ist ein weit verbreitetes Phänomen in der Wirtschaft, dass diejenigen Unternehmen, die die Dinge erfinden, nicht diejenigen sind, welche daraus schlussendlich ein Geschäft machen. Sie sind zu beschäftigt mit einer anderen Art von Geschäftigkeit; dies ist ein Muster das sich immer und immer wieder wiederholt. […] Eine andere offenkundige Erkenntnis ist, dass Variation das Herzstück von Innovation und Kreativität ist, dies aber genau das ist, wovon bei einem industriellen Vorgehen abgeraten wird. Zufall ist eine schlechte Sache, wenn man sich im nutzenorientierten (exploit) Modus befindet, dabei ist es eine absolute Notwendigkeit wenn man sich in einem forschenden (explore) Modus befindet. Unternehmen haben alle möglichen Systeme, die alle gegen kreative und künstlerische Prozesse wirken und versuchen Vielseitigkeit in ihren Vorgehensweisen zu minimieren. In kreativen Tätigkeiten wird oftmals die ästhetische Qualität eines Gegenstands gegen seinen Nutzen gestellt und bewertet. In einem Designunternehmen kann eine Einschränkung ein bestimmtes Budget an Stunden für eine bestimmte Aktivität sein.

Wenn man über diese Anzahl von Stunden hinausgeht, beginnt man, Geld zu verlieren. Es wäre eine unrentable Arbeit, wenn man weit über dieses Budget hinausschießt. Das ist eine Form des Drucks. Eine andere Art des Drucks könnte sein, dass man sein geplantes Budget ausgegeben hat, man jedoch keine befriedigende Lösung oder eine angemessene ästhetische Qualität erarbeitet hat. Die Neigung eines Designers ist es über diese Grenzen hinaus zu arbeiten. Die Neigung eines Managers ist es zu sagen, ‘nein, wir müssen das Budget einhalten, weil der Job profitabel sein muss’. Eine Sache, die wir in kreativen Unternehmen sehen ist, dass Manager manchmal gewillt sind diese Grenzen zu überschreiten, weil sie erkennen, dass dies eine Investition in den zukünftigen Ruf ist, in die Schaffung kreativer Fähigkeiten die wiederverwendet werden können, und sogar in das Schaffen von Ideen, welche in anderen Produkten oder Arbeiten mit anderen Kunden wiederkehren werden. Ich denke, man kann das auf die Tendenz herunterbrechen, die klassische Kostenminimierung oder Gewinnmaximierung aus einer Vielzahl von Gründen beiseite zu lassen: um neue Leistungsfähigkeit zu schaffen, um kreative Menschen glücklich zu machen, da diese nicht nur profitable Arbeiten machen wollen, sie wollen interessante Jobs machen. Eine Sache die in vielen kreativen Firmen wiederzufinden ist, dass sie Projekte annehmen die nicht besonders lukrativ oder profitabel sind, die Projekte jedoch sehr interessant sein könnten oder die kreativen Fähigkeiten auf interessante Weise ausdehnen. Diese Unternehmen sprechen darüber auf sehr praktische Art und Weise: ‘wir machen dieses eine und es wird Freude machen, aber der nächste Job den wir annehmen muss einer sein der die Rechnungen bezahlt’”, verdeutlicht Austin. “Da ist diese ausgeglichene Haltung, mit der sich viele von diesen kreativen Betrieben engagieren.” Wenn man Austin zuhört, wird klar, dass die Balance, die er beschreibt, nicht versucht die ganze Zeit das Gleichgewicht zu halten, sondern der Firma erlaubt dieses zu erreichen, indem sie auch durch unterschiedliche Zustände einnimmt. “Ich erkenne eine andere Sache, welche Teil eines Forschungspapiers ist dass wir gerade erarbeitet haben. Die Firma die wir untersuchten, hat die richtige Anzahl von Krisen im Jahr. Wenn Firmen zu viele Krisen haben, ist es zu störend, wenn sie zu wenige Krisen haben, dann stellen sie ihre Prozesse nicht genug in Frage. Dies ist nicht wirklich, was jemand denken würde, der eine Fabrik leitet. Die optimale Krisenanzahl in einer Fabrik beträgt null. Das sind nur einige der Dinge und es gibt vermutlich noch einige mehr, Toleranz von Ambiguität, und die Fähigkeit einer Führungskraft, den Menschen die für sie arbeiten dabei zu helfen, Mehrdeutigkeit zu tolerieren, ist eine wichtige Charaktereigenschaft. Die Tatsache, zu tolerieren, dass man bei einem kreativen Vorgang grundsätzlich nicht weiß, wohin man geht, kann sehr unangenehm sein.”

Austin hat erkannt, dass das Lernen von Künstlern für bessere Resultate in Wirtschaft und Gesellschaft ein vielversprechendes, sowie wichtiges Thema ist, aber er ist auch realistisch genug zu verstehen, dass es keine einfache Aufgabe ist, Führungskräfte davon zu überzeugen. “Wir müssen 150 Jahre industrielles Denken meistern. Wenn man neue Dinge und neues Denken in neuen Kategorien vorschlägt und diesen Kategorien neue Begriffe gibt, ist das Problem immer, dass diese Begriffe in der bestehenden Welt immer einen Nachteil gegenüber der geltenden, schon festgelegten Terminologie hat. Alles wirklich Neue und erstmal Unbekannte ist deswegen irgendwie unangenehm und für eine Weile ohne Achtbarkeit und Bedeutung.” Hoffnung macht Austin die Gleichzeitigkeit vieler Vorhaben auf diesem Gebiet. “Wir benutzen alle etwas unterschiedliche Begriffe, ich habe jedoch das Gefühl, wir sprechen alle über die gleichen Dinge.”

Das komplette Interview mit Robert Austin in englischer Sprache

Info

Ein Beitrag von Dirk Dobiéy & Adina Asbeck.
Das Interview wurde am 13.01.2017 von Dirk Dobiéy durchgeführt.
Bildquelle: Robert Austin.

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