Interview
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Adina Asbeck

Ich sammle die ganze Zeit Eindrücke – egal, wo ich mich bewege

In der Zeitkapsel mit Musikerin SAFI

SAFI ist eine Musikerin und Namensgeberin der gleichnamigen Band deren Wirken irgendwo zwischen Punk und Poesie angesiedelt ist. Nach einer grafischen Ausbildung in Leipzig und Halle und unterschiedlichen Tätigkeiten in diesem Bereich wurde der Wunsch sich überwiegend musikalisch auszudrücken für SAFI immer stärker und schließlich legte sie sich auf dieses Genre fest während sie außerdem als Grafikdesignerin arbeitet. Durch ihre Konzerte und Termine mit Kunden fern der Berliner Heimat ist Safi viel unterwegs und erzählte uns, dass “on the fly zu arbeiten” ein Bestandteil ihres kreativen Gestaltungsprozesses ist. “Wenn ich unterwegs arbeite, ist meine Konzentration am höchsten. Wahrscheinlich, weil ich dann enge Zeiträume habe und mich nichts ablenken kann. Eine Zeitkapsel. Sie [die Konzentration] ist jedenfalls viel höher als wenn ich die Zeit hätte, tagelang im Studio zu arbeiten. Man hat die ganze Zeit eine Beobachterposition. Man nimmt Einflüsse auf und schaut aus dem Fenster oder Leute an. Gerade die Situation, in einem Raum eingeschlossen zu sein, den man nicht willkürlich verlassen kann, beflügelt mich zum Kreieren. Das ist Collage für mich.” Dabei liegt es nahe, all diese Eindrücke nicht nur wahrzunehmen, sondern für die eigene Arbeit zu verwenden.

“Ich sammle die ganze Zeit Eindrücke – egal, wo ich mich bewege. Ich sammle über Tonaufzeichnungen und mit einem Skizzenbuch, in das ich Satzfetzen schreibe, oder wenn ich am Rechner mit Aufnahmen experimentiere – Spuren zusammenfüge, wieder auseinandernehme und andere in Archiven ablege: Soundcollage.”

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SAFI – GOLEM 10+22 (Remix von Alexander Hacke)

Wie SAFI all diese Fragmente dann zu einem ganzen verknüpft, erzählte sie uns im Interview und beschreibt ihr Vorgehen so: “Text und Musik, behandle ich wie eine Skulptur, ich verdichte und trage dann wieder ab, bis sich die Form gefunden hat. Zurzeit ist es so, dass die Grundlage für ein Stück der Sound, die Musik, der Rhythmus, die Melodie bildet. Später kommt der Text – aber manchmal ist es auch anders herum.”  Dabei scheut sich SAFI nicht ihr Vorgehen im musikalischen Bereich mit ihrer Ausbildung in Verbindung zu bringen wenn sie sagt ”es ist eine Art Malerei für mich; eine Verdichtung und ein Prozess bis zur Erkenntnis, dass es jetzt ausreicht, gut ist und auch nach dem siebten Mal Hören noch besteht.” Bestand hat für SAFI nur was reifen darf. “Grundsätzlich nehme ich mir die Zeit, Stücke länger liegenzulassen. Das schafft den erforderlichen Abstand, ein Stück in seinem Stadium beurteilen zu können. Mit frischem Ohr hast du eine Art Vogelperspektive und erkennst sofort, wo es hakt oder unstimmig ist, ob das Stück wirklich eine Bedeutung hat, ob die Idee verwirklicht wurde und ob das Stück weiterhin eine Relevanz hat. Jede Sekunde, jeder kleinste Fetzen kann einen neuen Song entstehen lassen.

Jeder Millimeter Schrift auf dem Papier hat für mich das Potential, eine Geschichte zu entwickeln. Die Grundinspiration ist die spielerische Herangehensweise: Sich frei zu machen, Regeln aufzustellen und wieder zu brechen, die Leidenschaft am Spielen, am Erschaffen. Die Freude hierbei ist auch die Grundmotivation und die primäre Triebkraft. Die nächste Stufe ist dann die Zielführung: Wo soll es hin? Wie soll es aussehen? Was hat das alles für einen Sinn?”

Für die Musikerin spielt der Kontakt mit anderen Künstlern eine große Rolle auch wenn es manchmal schmerzhaft sein kann. “Es ist eine großartige Sache, mit Leuten aus anderen Bereichen oder anderen Stilrichtungen zusammenzuarbeiten. […] Gemeinsam ist es dann auch noch einmal ein kreativer Prozess. Hier können sich die Songs immer noch verändern. Sie können einen ganz anderen Charakter bekommen, wenn ich merke, dass Matthias an der zweiten Gitarre oder Frank am Schlagzeug plötzlich irgendwas Komisches passiert und wir das versuchen festzuhalten: ‘Spiel das hier mal endlos und wir probieren Verschiedenes aus.’ Oder sie sagen vielleicht: ‘SAFI, das ist unspielbar, das können wir so nicht umsetzen. Was hältst du denn davon, wenn ich das so spiele?’ Dann ist das auch super.”

JANUS Album – Cover

Für SAFI ist selbst nach derartig vielen Iterationsschleifen die Arbeit noch immer nicht getan. “Wie gut du den Song erzählen kannst, zeigt dir dann die Reaktion des Publikums. Hier geht es um den direkten Dialog. Wenn ich meine Kunst nur für mich machen würde, wäre ich wahrscheinlich sehr einsam. Wenn Leute auf Konzerte kommen und zuhören und verstehen, wird es magisch, hier bekommt alles seinen Sinn, wird auf Herz und Niere geprüft, durchleuchtet vom Publikum, wird aufgenommen, abgefeiert oder auch missverstanden – die ganze Arbeit passiert in diesem Moment. Alle werden Eins.”

Das Teilen von Musik, sowie von Kunst, ob auf einer Bühne oder im öffentlichen Raum, bedeutet immer, sich den Meinungen anderer auszusetzen und mit Kritik konfrontiert zu werden.

“Generell finden wir es wichtig, dass Kritik passiert. Am unmittelbarsten gelangt diese auf Konzerten zu uns. Zum einen die direkte Reaktion, der mehr oder weniger starke Beifall, während des Konzertes. Zum anderen nach dem Auftritt. Hier kommen wir am Merchandising-Stand mit den Leuten ins Gespräch. Sie kaufen die Sachen, stellen Fragen oder teilen uns ihre Begeisterung mit, aber auch ihre Kritik.

Aber auch die Leute aus unserem Freundeskreis und Arbeitsumfeld tragen Lob oder Kritik an uns heran. Diese ist dann intensiver, weil wirklich ernsthaft in Frage gestellt oder positiv bewertet wird.” Wichtig dabei ist SAFI, ihre Stücke den Leuten vorzutragen, welchen sie vertraut und deren Kritik ihr weiterhelfen. Und meint, dass es wichtig sei, ihre Musik “nicht zu vielen Leuten zu zeigen, nur einem engen Kreis, sonst fallen zu viele verschiedene Meinungen an. Am glücklichsten macht mich, wenn die Leute sagen, ich hätte ihnen etwas gegeben; sie könnten etwas mit nach Hause nehmen und darüber nachdenken.”

Dass das Künstlerische in alle Lebensbereiche hineinfließt und auch in der Wirtschaft eine große Rolle spielt erkennt auch SAFI und bestätigt unseren Ansatz, dass jeder Mensch Kreativität besitzt und ausüben kann. “Ich habe festgestellt, dass jeder, der noch so weit von Kunst entfernt ist, auch ein Kreativer ist, weil er sein Leben selbstbestimmt und Lust an den Dingen hat, die er betreibt. Sonst würde er sie ja nicht betreiben. Es entstehen Projektideen aus einem kreativen Impuls und einem Wollen heraus. Ob jemand drei oder hundert Angestellte beschäftigen will, also, wie jemand sich sein eigenes Bild, seinen Traum ausmalt, das ist schon kreativ für mich. Es ist ein gestalterischer Prozess. Ich würde dem Geschäftsführer einer Inkassofirma wahrscheinlich raten, mit kreativen Leuten häufig Gespräche zu suchen oder sich öfter mal Ausstellungen oder Konzerte anzusehen. Man sollte miteinander auch auf idealistischer, philosophischer Ebene in Dialog treten, so dass die Perspektive wechseln kann und neue Möglichkeiten sichtbar werden.”

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AoA: Wie kamst du zur Musik?

SAFI: Ich habe schon immer gesungen. Als Kind habe ich mich selber in den Schlaf gesungen. Später bin ich in die Klasse eines Gymnasiums mit künstlerischem Profil gekommen. Man konnte sich entscheiden welches Profil man belegt: naturwissenschaftlich, mathematisch oder musisch. Ich habe das musische Profil belegt und hatte eine klassische Gesangsausbildung, Klavierunterricht, etc. Zusätzlich konnte ich den Leistungskurs Bildende Kunst belegen, denn ich wollte im Anschluss Kunst studieren. Da kam es mir sehr entgegen, einen vertiefenden Kurs zur bildenden Kunst belegen zu können. Dieser war einzigartig für diesen Jahrgang. Danach wurde er wieder abgesetzt – Glück gehabt! Mit dem Ende der Schulausbildung war ich bereits auch in erste Bandprojekte involviert.

AoA: Wie ging es dann weiter?

SAFI: Danach habe ich mich mehrfach beworben, um an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig angenommen zu werden. Gleichzeitig habe ich mich in Halle an der Burg Giebichenstein beworben und wurde dort angenommen. Später wechselte ich zurück nach Leipzig. Über Umwege habe ich das Studium etwas verspätet angetreten; bis dahin habe ich mich mittels Praktika über Wasser gehalten. In verschiedenen Werbeagenturen konnte ich mich mit den Grafikprogrammen vertraut machen und bin dadurch zum Grafikdesign gekommen.

AoA: Das heißt, du hast eine künstlerisch grafische Ausbildung und keine musikalische?

SAFI: Genau, eine Ausbildung in Malerei und Grafik in der bildenden Kunst. Als Quereinsteiger bin ich zusätzlich zum Grafikdesign gekommen, damit konnte ich meinen Unterhalt erarbeiten. Nebenbei habe ich konsequent Bandprojekte verfolgt – alles parallel.

AoA: Und die Musik? Wann kam die so vehement durch?

SAFI: Die blieb seit der Zeit auf dem Gymnasium parallel zu Allem im Hintergrund. Es gab dann einen Zeitpunkt, wo mir klar wurde, dass ich mich für eine Sache entscheiden muss, dass ich etwas abgeben muss. Nach Beendigung meines Studiums war es dann die bildende Kunst die ich abgegeben habe. Ich male oder zeichne noch selten und konzentriere mich seit dem konsequent auf die Musik, entwickle meine Fähigkeiten und verdinge mich in Werbeagenturen, um Geld zu verdienen.

AoA: Aber zeichnen tust du wohl immer noch sehr gut, davon konnte ich mich selbst überzeugen.

SAFI: Vielen Dank! Manchmal sehne ich mich danach, auch wieder zu zeichnen und vielleicht auszustellen. Aber das kann später immer noch kommen.

AoA: Das ist jetzt eher eine Phase, dass du ab und zu wieder zeichnest?

SAFI: Das mache ich zum Spaß oder um den Kopf frei zu kriegen. Manchmal überrasche ich gern Leute mit einer kleinen Zeichnung.

AoA: Diese Entscheidung Künstlerin zu sein – kannst du dich erinnern, wann du sie final getroffen hast und wieso?

SAFI: Ja, ganz genau: Das war in der Zeit kurz nach dem Diplom. Ich war inzwischen in einer großen Ausstellung als Grafikdesignerin der Agentur im Hintergrund beschäftigt, war hier zeitlich flexibel und konnte mich daneben musikalischen Experimenten widmen.  An einem Tag gab es eine besondere Situation für mich: Ich bin immer sehr früh am Morgen vor der Arbeit zum Singen in den Proberaum gefahren, um dann um 10 Uhr auf der Arbeit und abends wieder im Proberaum zu sein. So auch diesen Morgen. Irgendwann an der Ampel hatte ich so ein Gefühl – das ist der Moment, ich entscheide mich jetzt und ich will ernst machen. Ich habe in diesem Moment den Kunstkopf ausgeschaltet und mich dafür entschieden mich nur noch auf Musik zu konzentrieren, hier alle meine künstlerischen Ambitionen einfließen zu lassen und das Grafikdesign zum Broterwerb weiterhin auszuüben.

AoA: Bezeichnest du demnach die Musik als Kunst?

SAFI: Ja. Musik ist für mich die Kunst. Das bildende Darstellen habe ich komplett sein gelassen. Vielleicht mache ich das später mal wieder. Grafikdesign und Werbegrafik ist für mich Dienstleistung und hier forsche ich nicht. Aber es macht mir Spaß. Zeitschriften-Design ist hier mein Spezialgebiet. Der Rest ist hundert Prozent Musik und das ist für mich die Kunst.

AoA: Erzähl doch mal, wie deine Arbeit abläuft. Wo fängt es an, wo hört es auf?

SAFI: Situationsbedingt ist es bei mir so, dass ich eigentlich keinen Rückzugsort suche, oder aufsuchen kann, weil mir die Zeit fehlt, um mich im Stillen Kämmerlein zurückzuziehen, und Sachen zu erarbeiten. Ich habe seit Längerem festgestellt, dass gerade diese Situation mich beflügelt. Quasi immer „on the fly“ zu arbeiten. Das liegt mir sehr. Mir fällt es leicht, Ideen zu entwickeln, wenn ich Rad fahre. Wenn ich im Zug sitze, kann ich mich wunderbar unter die Kopfhörer klemmen und komponieren, oder auch im Flugzeug. Ich fahre gern und notwendigerweise viel mit dem Zug, um in anderen Städten Konzerte zu geben, oder auch den einen oder anderen Kunden zu besuchen. Wenn ich unterwegs arbeite, ist meine Konzentration am höchsten. Wahrscheinlich, weil ich dann enge Zeiträume habe und mich nichts ablenken kann. Eine Zeitkapsel. Sie ist jedenfalls viel höher als wenn ich die Zeit hätte, tagelang im Studio zu arbeiten. Wenn ich diese Möglichkeit dennoch haben kann, nehme ich sie mir natürlich. Ich muss schließlich regelmäßig üben und auch Stimmen bzw. Instrumente aufnehmen. Dann setze ich mir Zeitrahmen und Ziele, um zu Ergebnissen zu kommen und mich nicht zu verzetteln. Wenn ich unterwegs arbeite, kann ich dann in Ruhe die Zwischenergebnisse am Rechner ausdefinieren und verfeinern.

AoA: In diesem sozialen Raum, dieser Zeitkapsel, tauchst du in dich ein?

SAFI: Genau. Man hat die ganze Zeit eine Beobachterposition. Man nimmt Einflüsse auf und schaut aus dem Fenster oder Leute an. Gerade die Situation, in einen Raum eingeschlossen zu sein, den man nicht willkürlich verlassen kann, beflügelt mich zum Kreieren.

AoA: Reden wir hier über Songwriting, oder was ist die Kreation?

SAFI: Genau, Komposition und Songs schreiben. Aber auch das Editieren von bereits vorhandenen Skizzen. Manchmal ist es zum Beispiel notwendig, sehr aufwändige technische Korrekturen an einer Komposition vorzunehmen, etwa für ein Stück das Tempo zu verändern – dann müssen alle Spuren vorsichtig neu angepasst werden. Das kann sehr langwierig sein und erfordert sehr viel Konzentration. Meistens ist es aber das Songwriting.

AoA: Wo wir gerade beim Songwriting sind. Wie bezeichnest du denn deine Kunstform?

SAFI: Das ist Collage für mich. Ich sammle die ganze Zeit Eindrücke – egal, wo ich mich bewege. Ich sammle über Tonaufzeichnungen und mit einem Skizzenbuch, in das ich Satzfetzen schreibe, oder wenn ich am Rechner mit Aufnahmen experimentiere – Spuren zusammenfüge, wieder auseinandernehme und andere in Archiven ablege: Soundcollage.

AoA: Sound, Text und Idee finden also gleichzeitig statt?

SAFI: Text und Musik, behandle ich wie eine Skulptur, ich verdichte und trage dann wieder ab, bis sich die Form gefunden hat. Zurzeit ist es so, dass die Grundlage für ein Stück der Sound, die Musik, der Rhythmus, die Melodie bildet. Später kommt der Text – aber manchmal ist es auch anders herum. In meinem Skizzenbuch ist genügend Material gesammelt, ein Fundus, auf den ich jederzeit zugreifen kann. Ich brauchte nur eine Seite aufschlagen und schon habe ich einen Vers oder ein Wort, welches ich in einen Stoff einflechten kann. Momentan interessiert es mich vordergründig, neue Sounds und Soundcollagen zu erarbeiten als Ausgangsbasis für ein neues Album. Es ist eine Art Malerei für mich; eine Verdichtung und ein Prozess bis zur Erkenntnis, dass es jetzt ausreicht, gut ist und auch nach dem siebten Mal Hören noch besteht. Grundsätzlich nehme ich mir die Zeit, Stücke länger liegenzulassen. Das schafft den erforderlichen Abstand, ein Stück in seinem Stadium beurteilen zu können. Mit frischem Ohr hast du eine Art Vogelperspektive und erkennst sofort, wo es hakt oder unstimmig ist, ob das Stück wirklich eine Bedeutung hat, ob die Idee verwirklicht wurde und ob das Stück weiterhin eine Relevanz hat. Manchmal ist es so, dass ich eine ursprünglichen Idee nicht mehr wiedererkenne. Dann lege ich es beiseite und hebe es mir für neue Experimente auf.

AoA: Braucht es immer den Abstand, um dies herauszufinden?

SAFI: Meistens. Manchmal kann das ein Jahr sein, manchmal nur ein Tag. Und manchmal entsteht ein fertiges Stück auch innerhalb weniger Stunden.

AoA: Passiert es auch, dass du etwas gemacht hast, das du anfangs nicht so gut bewertet hast, später aber deiner Meinung nach gut ist?

SAFI: Ja, definitiv. Ich werfe nichts weg.

AoA: Das hört sich nach Sammeln an. Gerade beim Sammeln kann man leicht behaupten „everything is a remix“. Ich frage gerade nach der Novität, nach dem Original. Was fällt dir dazu sein?

SAFI: Es ist auch viel Originales dabei. Es gibt einige Dinge, die ich erst erzeugen muss, damit sie Teil der Collage werden können. Es sind keine Dinge, die ich irgendwo herunterlade, oder im Internet suche. Sie sind alle aus einem Prozess heraus entstanden, vielleicht auch aus einem anderen Song abgespalten, der so nicht mehr funktioniert hat. Ich entferne Teile und nehme sie dann für andere Stücke.

AoA: Es ist eine Collage, aber die Einzelteile sind schon deine Puzzleteile?

SAFI: Auf jeden Fall. Nur notgedrungen arbeite ich manchmal mit vorgefertigten Samples im Musikprogramm, um zum Beispiel ein Schlag zu einem Stück zu entwickeln. Manchmal nehme ich aber auch Einzelschläge, die ich selber aufgenommen habe. Es ist mir gerade wichtig Geräusche zu nehmen, zu denen ich einen privaten Zugang habe. Sie haben schon eine Geschichte in sich. Wenn ich vorgefertigte Samples benutze, verfremde ich sie so weit, dass sie zu meiner eigenen Soundkreation werden.

AoA: Wo kommt die Motivation, die Idee, der erste Impuls her? Oder ist das erste Element der Collage der Beginn?

SAFI: Jede Sekunde, jeder kleinste Fetzen kann einen neuen Song entstehen lassen. Jeder Millimeter Schrift auf dem Papier hat für mich das Potential, eine Geschichte zu entwickeln.

AoA: Gibt es schon eine Art Thema, das dich antreibt? Eine Art Werkstrang?

SAFI: Phasengebunden gibt es immer eine Art Strang, den ich eine Weile verfolge. Ich interessiere mich auf der Textebene im Moment beispielsweise für die Sprache an sich, lese bestimmte Schriftsteller, versuche, die Regeln seiner Ausdrucksformen zu erfassen, nehme seinen Spirit auf und arbeite mit den eigenen Gedanken, die hinzukommen. Manchmal gibt es ein bestimmtes Thema, das mich beschäftigt – an bestimmten großen Themen zieht sich mein Interesse fast durchgängig durch, kleinere untergeordnete Themen wechseln von Song zu Song. Es ist mir wichtig, mich einem bestimmten neuen Thema intensiv zu widmen und es zu erforschen. Es sind vor Allem Sachen, die mich ehrlich beschäftigen und ins Innere gehen. Fragen, die ich mir stelle oder auch Beobachtungen in der Außenwelt. Manchmal auch völlig alltägliche Themen , deren Besonderheiten ich neu entdecken möchte.

AoA: Es hat sich bis jetzt alles sehr individuell angehört. Gibt es an dieser Stelle schon Zusammenarbeit mit anderen?

SAFI: Ja, das gibt sie.  Aber bisher nur mit Leuten, die ich in meine Prozesse hereinlassen möchte, denen ich sehr vertraue. Ich hab mit mehreren Freunden schon kreative Prozesse gemeinsam durchlebt: Mit einem ganz engen Freund, der auch Maler ist, habe ich Soundcollagen gebaut, aus Experimentierfreude. Später sind daraus für mich die ersten Songs entstanden. Noch früher habe ich mit einem anderen Freund aus Leipzig zusammen an seinen Stücken gearbeitet, die Texte geschrieben, die Gesänge ausformuliert und gesungen. Es ist eine großartige Sache, mit Leuten aus anderen Bereichen oder anderen Stilrichtungen zusammenzuarbeiten. Wenn es um meine Musik geht, habe ich am Ende aber doch gern das Steuer in der Hand. Wenn es anders wirklich eine gemeinsame Sache sein soll, kann ich mich auch zurückhalten und finde meinen Bereich, wo ich mich verwirklichen kann. Eine schöne gemeinsame Sache ist zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Alexander Hacke für mich gewesen, der einen Remix zu einem meiner Titel des letzten Albums gemacht hat. Er sollte sich völlig frei bewegen und ich bin auch gar nicht erst in die Versuchung geraten, ihm da hineinzureden. Ich ging davon aus, dass der Song etwas völlig Anderes werden wird. Interessant war dabei für mich sein Blick auf den Song. Erkennt er meine Idee? Welche Parallelen finden sich in seiner Neuinterpretation? Es ist immer ein beflügelnder Prozess.

AoA: Du hast jetzt gesammelt und dann ist da schon eine Idee. Es ist noch kein Song, der fertig produziert ist. Wie geht es weiter?

SAFI: Die Collage wird so weit bearbeitet, bis sie ein Song ist. Dann versuche ich,  ihn im Proberaum spielbar zu machen. Wenn ich in Etwa weiß, wer welche instrumentale Rolle übernehmen könnte und wenn ich meinen Part beherrsche, probiere ich den Song mit der Band und finde heraus, welche Energie er live entwickelt. Gemeinsam ist es dann auch noch einmal ein kreativer Prozess. Hier können sich die Songs immer noch verändern. Sie können einen ganz anderen Charakter bekommen, wenn ich merke, dass Matthias an der zweiten Gitarre oder Frank am Schlagzeug plötzlich irgendwas Komisches passiert und wir das versuchen festzuhalten: „Spiel das hier mal endlos und wir probieren Verschiedenes aus.“ Oder sie sagen vielleicht: „SAFI, das ist unspielbar, das können wir so nicht umsetzen. Was hältst du denn davon, wenn ich das so spiele?“ Dann ist das auch super.

AoA: Was für den Maler die Leinwand ist, ist bei euch der Proberaum. Lässt du Einflüsse seitens der Bandmitglieder zu?

SAFI: Genau, im gemeinsamen Raum verdichtet sich der Stoff und wird greifbar. Oft kommen durch Frank und Matthias neue Elemente oder andere Klangfarben hinzu. Da ich durch meine Vorarbeit weiß, wohin der Song gehen soll, kann ich gut sortieren, was schließlich einfließt und was nicht. Dieser Prozess, gemeinsam mit der Band noch einmal in die Stücke hineinzugehen, ist sehr wichtig für die endgültige Entwicklung der Stücke und für das Live-Spiel.

AoA: Siehst du dich als Kopf der Band?

SAFI: Ich bin definitiv Kopf, Gesicht und daher auch Namensgeberin der Band seit dem ich mich dazu entschlossen habe, den Weg als Komponistin und Texterin einzuschlagen, meine eigene Sprache darin zu entwickeln und das Projekt SAFI in das Zentrum meines Schaffens zu setzen. Ich mache alles – von Songwriting über die Musikproduktion bis zum Artwork. Für mich ist es sehr wichtig, nein, es ist eher eine völlig natürlich gewachsene Tatsache für mich, mehrere Bereiche auszufüllen, die die eigene Sache umgibt und durchdringt. Meine Arbeit ist so etwas wie mein Kind, das ich aufziehe, das wächst, das auch mal kränkelt und dann wieder stärker wird. Oder meine eigene Geschichte, oder wie meine eigene Firma. Natürlich muss ich Einflüsse zulassen und möchte das auch, weil ich sonst stagniere und im eigenen Saft koche. Aus diesem Grund freue ich mich über Ideen, die mir andere Leute entgegenbringen und die ich dann filtere. Ich kann immer sagen: „Das passt wirklich nicht, das ergibt einen komischen Charakter“. Oder: „Es ist total klasse, ohne dich wäre der Song nur halb so gut gewesen.“

AoA: Du setzt also nicht zwingend das Feedback um, sondern es gibt noch Entscheidungen zu treffen.

SAFI: Genau, es gibt Entscheidungen zu treffen und es ist immer ein großes Plus andere Einflüsse zuzulassen, weil es die Sache und dich selber bereichert.

AoA: Wann ist es dann fertig?

SAFI: Nie. Ungefähr, wenn ich denke, dass ich die Seele des Stückes gefunden habe. Wenn es mich selbst ergreift. Dann kann man immer noch feilen aber der Charakter bleibt bestehen. Einen absehbaren Zeitpunkt, wann ein Stück soweit ist, gibt es dabei nicht. Ich habe schon Songs gehabt, bei denen ich 52 Fassungen innerhalb von 3 Jahren ausgearbeitet habe und andere habe ich in zwei Tagen abgeschlossen.

AoA: Was heißt, es ist nie fertig? Arbeitest du auch noch weiter an Songs, die bereits veröffentlicht wurden?

SAFI: Nein. Diese sind zugeschlagene Bücher. Es wäre für mich Zeitverschwendung mich erneut an einem alten Song aufzuhängen. Ich hätte aber schon einmal Lust, die Titel eines bereits abgeschlossenen Albums zu nehmen und die Originalspuren so zu zerschneiden und neu aufzuschichten, dass daraus ein komplett neues Album entsteht; als Experiment. Neue Songs aus altem Material zu schreiben und die Audiospuren so zu nehmen wie sie damals aufgezeichnet wurden … Sicher hängt meine Lust an dieser Idee damit zusammen, dass ich vom Zeichnen komme, wo ich ebenfalls gern große Verdichtungen erzeuge durch Überlagerungen und Collage oder weil, wie im Grafikdesign, der Rechner selbst das Medium ist.

AoA: Siehst du deine Arbeit als Spiel?

SAFI: Ja, die Grundinspiration ist die spielerische Herangehensweise: Sich frei zu machen, Regeln aufzustellen und wieder zu brechen, die Leidenschaft am Spielen, am Erschaffen. Die Freude hierbei ist auch die Grundmotivation und die primäre Triebkraft. Die nächste Stufe ist dann die Zielführung: Wo soll es hin? Wie soll es aussehen? Was hat das alles für einen Sinn? Da kommt dann sehr stark das konzeptionelle Denken hinzu und das muss in der Mitte dann alles zusammenkommen.

AoA: Bei deiner Musik gibt es zwei Produkte: Den Tonträger und den Bühnenauftritt. Erzähl doch mal über diese beiden Produkte.

SAFI: Sie bedingen sich gegenseitig. Jedes Produkt erfordert eine gesonderte Aufmerksamkeit und möchte separiert ausgearbeitet werden. Aber für den Entstehungsprozess der Musik sind beide Erfahrungen essenziell. Einen Song nicht live zu spielen oder vor Publikum angetestet zu haben, erfährt kein richtiges Leben. Ihm fehlt dann genau diese Erfahrung. Andersherum einen Songs zu spielen, der nie manifestiert wird auf Tonträger, lässt den Song irgendwann in Vergessenheit geraten bzw. man hat nicht die Möglichkeit, ihn sich selber anzuhören. Die Gewichtung der beiden Möglichkeiten wirkt sich auf die Grundenergie der Aufnahmen aus. Beim ersten Album haben wir zum Beispiel nur Stücke aufgenommen, die wir bis dahin schon oft live gespielt hatten. Diese haben wir dann auch komplett live zusammen in einem Raum eingespielt, was den Stücken zu großer komprimierter, innerer Kraft verhalf. Für die letzte Albumproduktion sind wir ins Studio gegangen, um die energetische Grundlage der Stücke aufzunehmen, also die Band. Davor hatte ich die Stücke alle bereits fertig angelegt und vorproduziert. Die „echten“ Instrumente, die Band, habe ich dann mit nach Hause genommen, um damit weiterzuarbeiten – sie in meine vorbereiteten Collagen  einzuarbeiten. Jedes Mal suche ich nach einem neuen Weg mit anderen Möglichkeiten, wie man es noch machen kann – um zu herauszufinden, welcher Weg der beste für mich ist.

AoA: Ist das eine Lernerfahrung, oder bestimmt der Prozess das Ergebnis und ist somit auch im Ergebnis wiederzufinden?

SAFI: Wieder beides.

AoA: Es ist nicht die Suche nach Perfektion, sondern eher der Unterschied damit einfach eine andere Komponente mit in den Prozess hineinkommt.

SAFI: Genau. Ich möchte nicht die Fehler vom letzten Mal ausmerzen und es dann wieder so ähnlich machen. Schon das Letzte war perfekt für mich und nun folgt etwas anderes.

AoA: Was bedeutet genau das Ergebnis für dich?

SAFI: Ein bisschen weniger als der Prozess selber. Ich finde es am Ende natürlich trotzdem erhebend, endlich das fertige Ergebnis in den Händen halten zu können. Ein Weg ist damit abgeschlossen, ein Kapitel beendet und etwas Neues kann kommen. Das ist extrem wichtig, weil der Kopf dann frei ist. Die alten Sachen fallen ab. Sie müssen zwar immer noch live gespielt werden auf unbestimmte Zeit, aber das steht auf dem anderen Blatt. Der Kopf ist frei für die Entwicklung neuer Sachen. Hier unterscheiden sich die beiden Produkte Tonträger und Bühnenauftritt, Liveperformance vom Songwriting: Der Tonträger ist ein punktuelles Zeitdokument und die Live-Performance wächst mit.

AoA: Geht es einem nicht auf die Nerven, wenn man dieselben Stücke immer wieder spielen muss und gleichzeitig den Kopf frei für was Neues haben will?

SAFI: Nein, du musst da nichts mehr dran entwickeln. Jetzt geht es darum, dem Publikum deinen Song zu erzählen. Wie gut du ihn erzählen kannst, zeigt dir dann die Reaktion des Publikums. Hier geht es um den direkten Dialog. Die letzte Albumproduktion hat sich sehr lange hingezogen, weil wir strukturelle Veränderungen bezüglich des Labels hatten. Dieses Warten hat mich ziemlich mürbe gemacht, die Songs haben nur gelebt, wenn wir aufgetreten sind, und ich hatte den Kopf nicht frei, um neue Songs zu schreiben, weil es einfach immer noch so an der Oberfläche schwamm. Dann ist das Album dieses Jahr herausgekommen und seitdem habe ich große Freude am Entwickeln des nächsten. Die Songs des aktuellen Albums spielen wir gern und oft – das Publikum erkennt die Titel aus dem Radio oder aus dem Internet und singt mit. Der Spirit der Titel lebt und gedeiht live weiter. Erst wenn ich selber den Anschluss oder Anspruch an Songs verliere, kann ich sie nicht mehr spielen. Ich müsste ihn für mich wieder neu entdecken. Ohne Leidenschaft kann ich einen Song nicht richtig vortragen und das Publikum wird ihn nicht verstehen.

AoA: Was bedeutet das Publikum für dich?

SAFI: Die Dinge wollen aus mir heraus und ihren Empfänger finden. Für das Publikum mache ich das alles. Wenn ich meine Kunst nur für mich machen würde, wäre ich wahrscheinlich sehr einsam. Wenn Leute auf Konzerte kommen und zuhören und verstehen, wird es magisch, hier bekommt alles seinen Sinn, wird auf Herz und Niere geprüft, durchleuchtet vom Publikum, wird aufgenommen, abgefeiert oder auch missverstanden – die ganze Arbeit passiert in diesem Moment. Alle werden Eins. Wir kennen auch die Situation, bei denen wir vor drei Leuten gespielt haben oder gar vor niemandem … Dann ist es etwas weniger schön für alle, aber dann sind wir um so intimer im Dialog und haben darüber hinaus noch eine sehr wichtige von-0-auf-100-Probe.

AoA: Lasst ihr auch Kritik an euch heran?

SAFI: Generell finden wir es wichtig, dass Kritik passiert. Am unmittelbarsten gelangt diese auf Konzerten zu uns. Zum einen die direkte Reaktion, der mehr oder weniger starke Beifall, während des Konzertes. Zum anderen nach dem Auftritt. Hier kommen wir am Merchandising-Stand mit den Leuten ins Gespräch. Sie kaufen die Sachen, stellen Fragen oder teilen uns ihre Begeisterung mit, aber auch ihre Kritik. Aber auch die Leute aus unserem Freundeskreis und Arbeitsumfeld tragen Lob oder Kritik an uns heran. Diese ist dann intensiver, weil wirklich ernsthaft in Frage gestellt oder positiv bewertet wird.

AoA: Wie muss es sein, dass du Kritik tatsächlich in deine Arbeit mit einfließen lässt?

SAFI: Im Entstehungsprozess der Songs zeige ich die erste Fassung erst, wenn sie eine gewisse innere Festigkeit erreicht hat. Zustände zu früh zu zeigen, kann sich schädlich auf das Stück auswirken, zu viele Köche verderben den Brei. Ich zeige die Zustände auch nur Leuten, deren Urteil ich vertrauen kann – also mit denen ich eine ähnliche Kompetenz-Ebene fühle oder mit denen ich schon viele Dinge gemeinsam durchlebt habe. Einem meiner engsten Freunde aus dem Kunststudium oder meinem Manager zeige ich Sachen zum Beispiel zuerst. Auch der Band. Das war es dann auch erst einmal schon. Nicht zu vielen Leuten zeigen, nur einem engen Kreis, sonst fallen zu viele verschiedene Meinungen ein. Eine kleine Gruppe von Leuten ergibt bereits die geeignete Schnittmenge an Kritik, die von Nöten ist, um die Punkte zu überdenken. Ich filtere dann, welche Punkte ich neu überdenken möchte, und was am Ende in meine Arbeit einfließt.

AoA: Wie muss man sich das Gemeinsame auf der Bühne vorstellen? Hast du eine Führungsaufgabe und bist der Leader auf der Bühne, oder seid ihr gleichrangig?

SAFI: Ich bin der Leader und habe zwei Gefährten. Wir sind zu dritt, wie ein Dreieck mit der Spitze zum Publikum. Ich stehe vorne an der Spitze, Schlagzeug rechts hinter mir und Bass bzw. zweite Gitarre links hinter mir. Wir bewegen uns momentan relativ wenig auf dem verfügbaren Platz zwischen allen Geräten, weil wir alle sehr viel mit Schalten und Pedale-Treten zu tun haben – hier sind wir leider ein wenig zu sehr an unsere Plätze gekettet. (Noch.) Wir konzentrieren uns darauf, ein größtmögliches Kraftfeld zu entwickeln. Das gesamte Programm bis hin zur Ansage ist wie eine Gesamtkonzept für den Abend. Es gibt wenig spontane Situationen, es sei denn, die Situation möchte das so – ein besonderer Tag, ein bestimmter Raum oder man kommt mit den Leuten von der Bühne aus ins Gespräch. Das passiert mir aber eher selten. Smalltalk von der Bühne herunter ist nicht die Art und Weise, die zu meiner Musik passt. Es sollte für mich dann schon zur Performance gehören mit den Leuten zu sprechen – etwas vortragen, oder eine Frage aufwerfen o. ä. – also ein Stilmittel im Programm. Was uns großen Spaß macht, ist, wenn wir die Möglichkeit haben, inmitten der Leute zu performen – etwa, die Bühne in der Mitte aufzustellen und mit den Leuten zusammen zu sein. Es ist allerdings technisch meist zu schwierig, weil die PA selber, die den Raum beschallt, nicht ihren Standort verändern kann und mit den Mikrofonierungen frequenztechnisch ins Gehege kommt, so dass z. B. Feedbacks entstehen. Wir hatten aber schon ein paarmal diese Gelegenheit und wir haben sie genossen. Man ist auf der selben Ebene mit dem Publikum und hat den Blickkontakt. Es kann dir auf die Finger schauen, um dich herum gehen, und ich kann mich bewegen und bin zwischen den Leuten.

AoA: Auf der anderen Seite ist aber gerade eine Bühnenperformance das Schauspiel?

SAFI: Das Theaterhafte – die Distanz und das Schauen – ist auf der Bühne ganz klar und eindeutiger umzusetzen. dafür sind Bühnen da. Ich mache mir gerade zunehmend Gedanken, wie und was ich unter diesen Gesichtspunkten entwickeln kann – wie und wie weit ich in Richtung „Theater“ gehen möchte. Etwa die Auftritte optisch auf eine bestimmte Weise zu intensivieren – beispielsweise mit Masken zu arbeiten oder mit Licht und Schatten oder auch Videomaterial einzubeziehen. Ich habe viele verschiedene Ideen dazu – auch mit anderen Kreativen gemeinsam etwas zu entwickeln, fände ich spannend. Installationskunst auf die Bühne zu bringen. Wir wären dann Teil der ganzen Installation oder etwas in der Art.

AoA: Hast du eine bestimmte Haltung als Künstlerin bzw. Musikerin?

SAFI: Demut und Leidenschaft.

AoA: Wieso Demut?

SAFI: Es ist ein Begriff aus dem Buddhismus, den ich mitgenommen habe. Buddhistische Grundhaltung und Lebensphilosophie praktiziere ich schon sehr lange. Die Haltung zum Leben und zum Miteinander, bzw. den Umgang mit Geschehnissen und den Leuten, die einem begegnen, zu üben und daran zu lernen – zulassen, beobachten, in sich aufzunehmen und sich selber in diesem Moment zurück zu nehmen.

AoA: Das Ego hinten anstellen?

SAFI: Genau.

AoA: Fallen dir sonst noch Begriffe ein?

SAFI: Verantwortung oder Stringenz. Verantwortung für sein eigenes Projekt: Will ich es nun wirklich, oder will ich es nicht? An etwas dran zu bleiben, diszipliniert zu sein. Überwindung manchmal. Das Handwerk zu beherrschen, damit es nicht unter der Kunst wegbricht und die Umsetzung behindert. Vielleicht auch das Pendeln zwischen Anspannen und Lockerlassen – oszillieren, damit immer alles in Bewegung bleibt. Stillstand ist nicht gut.

AoA: Wie machst du das?

SAFI: Es ist zwangsläufig. Ich bin stundenweise am Tag stark konzentriert, wenn ich an einem Stück oder einem Text arbeite oder auch im Job. Mit meinem Fahrrad als hauptsächliches Fortbewegungsmittel fällt es mir leicht, im Kopf umzuschalten, wenn ich den Ort wechsle, ich lasse locker, der Wind pfeift um den Kopf und in solchen Momenten rutschen die Erkenntnisse, Gedanken oder Ideen nach. „Alles klar, ich mache das so. Ich gehe das ganz anders an und mache das so.“ Oder innerhalb der Arbeit selber, die Prioritäten wechseln ja ständig – phasenweise arbeitet man sehr konzentriert an einem nächsten Auftritt, probt das Programm und an einem anderen Tag drängt es wieder, an neuen Stücken weiterzuarbeiten.

AoA: Die Spannung hält man aufrecht, damit die Bewegung im Takt bleibt und es nicht irgendwann auspendelt?

SAFI: Genau. Aber ich denke, das wird mir nicht so einfach passieren. Ich könnte mir zum Beispiel nicht vorstellen, einfach Hartz IV zu beantragen und den ganzen Tag Zeit nur für Musik zu haben. Oder, wenn ich es so machen würde, würde ich mir in meinen Tag auch ausreichend pragmatische Dinge einstreuen oder künstlerisch entgegengesetzte Dinge tun, so dass ich immer ein Pflicht- und ein Spaß-Programm habe. Es ist ja aber sowieso so, dass man ständig irgendwelche administrativen oder organisatorischen Dinge zu tun hat, also Monotonie würde sich bestimmt nur schwer einschleichen können.

AoA: Das ist ein interessanter Punkt. Wie schätzt du deine ganze musikalische Arbeit ein, wie viel ist da Routine und wie viel ist kreativer Teil?

SAFI: Es ist mehr Routine, wenn ich an keinem größeren Projekt, wie etwa speziell einem Album, arbeite. Hier benötige ich gute Routine fürs Touren und Livespielen. Während des intensiven Entstehungsprozesses eines Albums zum Beispiel, schraube ich meinen Routinekopf ab und setze den Chaoskopf auf. Dieser muss allerdings auch sortieren und begutachten können, sonst kann die Produktivität nicht in Bahnen gelenkt werden. Würde ich ständig nur kreativen Output zulassen, welches nicht kanalisiert wird, würde ich einfach nur ansammeln. Deswegen fällt für mich das Ausarbeiten eines Songs auch mit in einen Trainings- bzw. Routine- oder Erfahrungsanwendungs-Prozess. Also hören, hinterfragen, zweifeln und wieder von vorne beginnen. Das gehört zum Erschaffen und Verfestigen eines Stückes. Das Ideenfinden ist eher ein Türöffnen und dann kommt etwas Pragmatismus hinein. Die Tür zu den Ideen kann ich eigentlich jederzeit aufmachen, wenn ich sie brauche. Konzepten und Kopfarbeit ist sehr notwendig und liegt mir gut. Deswegen hat das Chaos-Kreative manchmal ein bisschen weniger Raum bei mir. Es ist wie eine Süßspeise, davon kann man auch nicht zu viel essen. Man bekommt Bauchschmerzen. Der Rest ist viel Arbeit.

AoA: Du bist aber auch in der Wirtschaft tätig und kennst aus dem Agenturgeschäft auch die andere Seite. Nutzt du irgendetwas aus deinem künstlerischen Umfeld in deiner Arbeit in der Agentur?

SAFI: Ja, als Grafikdesigner ist man ja ein auf Abruf programmierter Kreativer. Wenn ich eine Kampagnen-Idee entwickeln soll, nutze ich meine selbst erfahrenen Prozesse der Herangehensweisen, weil ich weiß, wie sie funktionieren. Ich mache mir hier zum Beispiel auch oft auf dem Weg zur Arbeit oder zurück Gedanken und oft nicht, wenn ich direkt vor dem Rechner sitze. Vor dem Rechner arbeite ich dann aus. Oder ich schalte kurz um und hole mir im Internet Inspiration, indem ich mir gutes Design oder auch irgend etwas Alltägliches, themenverwandtes anschaue, was mir dann wieder klarer werden lässt, wo es mit dem Entwurf eigentlich hingehen soll. Danach gibt es reihenweise Entwürfe und ein Entwurf ergibt wieder einen anderen. Wie ein Kettenprozess. Ich sehe dann beim Umsetzen, welche Idee nicht richtig funktioniert und bei welcher der Ableger davon und wieder der Ableger besser funktioniert. Dabei entstehen dann die Entwurfsreihen, die man nach wiederholtem Aussortieren dem Kunden vorstellt. Wenn vom Kunden zu viele Vorgaben gemacht werden, kann es problematischer werden, denn es gibt dann wenig Bewegungsspielraum bei der Kreation, die Handbremse ist angezogen. Man könnte den Kunden schon hier beraten: „Das ist zu viel oder das ist nicht so gut. Schauen Sie sich mal das Logo dieser Firma an, es ist eine starke Marke mit hohem Wiedererkennungsfaktor gerade auf Grund der Reduzierung.“ Als Grafiker oder als Musiker ist man den ganzen Tag auch Beobachter und nimmt oft bereits bevor sich breite Trends entwickeln, leise Veränderungen oder Strömungen wahr, die gerade passieren. Das fließt in die Beratung des Kunden mit ein.

AoA: Was kann die Wirtschaft aus deiner Sicht von dir als Künstlerin oder von Künstlern im Allgemeinen lernen?

SAFI: Ich habe festgestellt, dass jeder, der noch so weit von Kunst entfernt ist, auch ein Kreativer ist, weil er sein Leben selbst bestimmt und Lust an den Dingen hat, die er betreibt. Sonst würde er sie ja nicht betreiben. Es entstehen Projekt-Ideen aus einem kreativen Impuls und einem Wollen heraus. Ob jemand drei oder hundert Angestellte beschäftigen will, also, wie jemand sich sein eigenes Bild, seinen Traum ausmalt, das ist schon kreativ für mich. Es ist ein gestalterischer Prozess. Ich würde dem Geschäftsführer einer Inkassofirma wahrscheinlich raten, mit kreativen Leuten häufig Gespräche zu suchen oder sich öfter mal Ausstellungen oder Konzerte anzusehen. Man sollte miteinander auch auf idealistischer, philosophischer Ebene in Dialog treten, so dass die Perspektive wechseln kann und neue Möglichkeiten sichtbar werden. Manchmal habe ich die Möglichkeit, mich mit Leuten aus Nicht-Kreativbranchen gut austauschen zu können, was mir wiederum ebenso öfter Aha-Effekte und neue Erkenntnisse beschert.

AoA: Fällt dir sonst etwas ein, das ich nicht gefragt habe und ich hätte fragen sollen?

SAFI: Vorhin waren wir bei der Frage zu den Unterschieden zwischen Liveperformance und Songwriting noch nicht fertig. Es ist ja ein Prozess, der vom Einen zum Anderen führt. Zu komponieren, ist für mich oft ein sehr zurückgezogener Prozess. Ich habe beim Schreiben eine große Blase um den Kopf, von der ich dann Stück für Stück etwas ins Hörbare umsetze. Durch das Schreiben selbst kommt die Kraft im Schaffensprozess. Zwischenzustände kann ich schlecht jemandem zeigen. Da fehlt der Adapter, der mein Gefühl umsetzt und verständlich macht, wie es am Ende fertig klingen soll. Trotzdem muss ich der Band irgendwie verständlich machen, wobei es mir im Stück geht. Die Ausarbeitung mit der Band ist dann die nächste Herausforderung und die gesamte Band wird in eine etwas größere Blase eingehüllt. Auf der Bühne dann sollte es am Ende gelingen, ein so großes Kraftfeld aufzubauen, dass auch das Publikum mit in eine große Blase eingehüllt wird. Die  körperliche Erfahrung, mit anderen Menschen zusammen einen Klangkörper zu bilden, der zu einem Kraftfeld wird, habe ich schon sehr früh genießen können. Im Chor zu singen, war immer ein großes Glücksgefühl für mich. Hier ist für mich der entscheidende Antrieb, Musik ernsthaft zu betreiben und der Unterschied zur Hausmusik oder zur Musik, die man nur für sich selbst macht. Bleibt es klein, bleibt es klein – machst du es groß, wird es groß. Am glücklichsten macht mich, wenn die Leute sagen, ich hätte ihnen etwas gegeben; sie könnten etwas mit nach Hause nehmen und darüber nachdenken.

Info

Ein Beitrag von Adina Asbeck.
Das Interview wurde am 11.11.2015 von Dirk Dobiéy durchgeführt.
Bildquelle: SAFI/ Stephanie von Becker.

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