Interview
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Thomas Castéran

Jeder hat eine andere Kreativität

Interview mit Entrepreneur und Filmer Gaspard Bonnefoy

Zum ersten Mal traf ich den Entrepreneur und Filmemacher Gaspard Bonnefoy, als wir gerade unser Masterstudium in Montpellier beendeten. Ich erinnere mich, wie sehr ich mich damals beeilte ein Praktikum in einem großen Unternehmen zu finden, das mir aussichtsreiche Möglichkeiten für meinen Karrierebeginn eröffnen könnte. Im Gegensatz dazu lehnte Gaspard das Angebot einer Festanstellung ab, das er von dem Unternehmen erhielt, für das er nebenbei gearbeitet hatte. Stattdessen plante er auf eine aufregende Reise aufzubrechen, um zu verstehen wie Kultur musikalische Kreativität beeinflussen kann. Das Abenteuer sollte ihn binnen einen Jahres in 15 verschiedene Länder auf 4 Kontinenten führen, wo er über 100 Musiker*innen treffen, mit ihnen zusammen spielen und aufnehmen würde. Wie kam es, dass er einen anderen Weg wählte, als die große Mehrheit der Kommiliton*innen seines Studiengangs? 

Gaspard, In jeglicher Hinsicht leidenschaftlich in der Musik – sowohl als Amateurmusiker als auch als Musikwissenschaftler – begann während einiger Workshops in Paris mit musikalischer Kreativität zu experimentieren, indem er einen Looper benutzte; ein Gerät, mit dem man Musik aufnehmen, mischen und repetitiv abspielen kann. Davon überzeugt, dass der Looper ein starkes Werkzeug ist, um mit ihm Musik aus dem Nichts zu erzeugen, fragte Gaspard sich, wie Musiker rund um die Welt den Looper wohl verwenden würden, um mit ihm etwas Neues zu erschaffen. Würden sich kreative Prozesse stark zwischen den Kulturen unterscheiden? “Ziel ist es herauszufinden, ob Musiker in anderen Ländern und in unterschiedlichen Kulturen den gleichen kreativen Prozess durchlaufen und ob es universelle Muster musikalischer Kreativität geben könnte.” 

Ganz persönlich fühlte Gaspard sich zudem limitiert, wenn er selbst Musik komponierte und folgerte daraus, dass sein kreativer Prozess zutiefst in der Musik verwurzelt sei, die er üblicherweise hört und die ihn umgibt. Die Reise war für ihn auch eine Möglichkeit daraus auszubrechen. “Ich fühle mich irgendwie eingeschränkt, wenn ich Musik danach komponiere, was ich kenne und was ich höre […]. Ich frage mich, ob Musiker auf der ganzen Welt etwas Ähnliches erleben und sich durch ihr Wissen und ihre Kultur limitiert sehen. Hat Kultur einen Einfluss auf ihren kreativen Prozess, oder im Gegenteil, sind sie dank ihrer Technik in der Lage darüber hinaus schöpferisch aktiv zu werden?” 

Eine solche Forschungsreise wäre üblicherweise voraussetzungsvoll in der Umsetzung, da ein Looper in der Regel ein Mikrophon, ein Pedal sowie eine Station benötigt, um Sounds aufzunehmen und zu mischen. In diesem Fall konnte die Herausforderung durch die Technologie selbst gelöst werden: Als Gaspard entdeckte, dass die Funktionalitäten eines Loopers gerade auch in Form einer App erhältlich geworden waren, gab es für ihn kein Hindernis mehr. Über sein Netzwerk, das er sich vor allem durch den Besuch lokaler Gigs aufbauen konnte, erschloss er sich Möglichkeiten mit Künstlern weltweit in Kontakt zu treten. So organisierte er über 100 “Loop Sessions”. Ob geplant oder ad hoc: Die erste Frage, die mir durch den Kopf schoss drehte sich darum, ob einige der Musiker Probleme damit hatten mit einer komplett leeren Leinwand zu beginnen, oder ob sie sofort einen Einstieg finden konnten.

“Die Musiker, die ich traf, hatten oft Ideen im Kopf, wie Akkorde, die sie gerne spielen würden, Melodien, die sich in ihren Köpfen eingenistet hatten und sie warteten nur auf eine Sache: die Möglichkeit sie zu spielen. Wenn zufällig eine unbekannte Person wie ich daherkommt und fragt “was ist dein Lied?”, dann legen sie einfach los. Es ist beeindruckend. Oft spielen sie ein paar Akkorde […], und wenn sie die ersten Akkorde richtig getroffen haben, beginnen sie herum zu experimentieren und anzupassen, je nachdem was dabei herauskommt.” Für Gaspard wurde deutlich, dass die Komposition von Musik im Wesentlichen aus einer Initialzündung oder Anfangsinspiration und einer konstanten Improvisation bestand. 

Gaspard plante auch Loop Sessions mit Nicht-Musikern zu versuchen, um herauszufinden wie sie mit einer solchen Situation umgehen würden. Während dieser Sessions wurde klar, dass es für die Neulinge schwieriger war zu improvisieren. Wenn das Fehlen von Technik und eines Grundverständnisses musikalischer Prozesse zwei natürliche Blocker waren, kam noch ein dritter Faktor hinzu: ihr Unvermögen sich über “die Angst davor etwas zu produzieren, das sich nicht richtig anhört” hinwegzusetzen. Dies hinderte sie daran zu beginnen.

Für Musiker hingegen war die Einführung des Loopers ein Katalysator für spielerisches Entdecken und um Songs oder Melodien zu erschaffen, die bereits in ihnen schlummerten, aber bisher durch kein Mittel zum Leben erweckt worden waren, sei es mit unterschiedlichen Instrumenten oder a capella. Ein Beispiel war Francisco, ein Musiker aus Chile. Mitten in der Atacamawüste wurde Gaspard Zeuge wie Francisco einen Moment des Flow erreichte, als er einen Song mit einer Gitarre und einer Flöte performte und zur gleichen Zeit sang. “Das war ein magischer Moment […]. Es war das erste Mal, dass er beide Instrumente zur gleichen Zeit spielen und daraus etwas kreieren konnte.”

Singer Velemseni during a loop session in Swaziland
Singer Velemseni during a loop session in Swaziland

In unterschiedlichen Situationen und an unterschiedlichen Orten, ob Instrumente eingebunden waren oder nicht, scheinen sich die Prozesse zu ähneln und in der Regel zu Erfolg zu führen. Ein anschauliches Beispiel dafür wie wichtig Experimentierfreude für den Prozess ist, lieferte die Sängerin Velemensi in Swasiland. Mithilfe des Loopers ließ die swasiländische Künstlerin unter der gleichzeitigen Nutzung verschiedener Stimmtechniken einen Song entstehen, der ohne die Nutzung eines Instruments auskam. “Wenn du diesen Song auseinander nimmst, hast du Kontrapunkte, on-beats und off-beats. Er ist sehr technisch und komplett. […] Es war das erste Mal, dass sie einen Looper verwendete, aber es schien für sie alles einen Sinn zu ergeben und sie musste nicht nachdenken, um zu gestalten. Sie wartete nur darauf es zu probieren und mit ihren Ideen zu experimentieren.” 

In manchen Fällen gab es trotzdem einige Einschränkungen bezüglich des Forschungsdesigns, die durch die Nutzung eines technischen Geräts – dem Looper – entstanden sind, die die Ergebnisse beeinflussten. Dies illustriert die Begegnung mit einem nepalesischen Musiker, der allgemein einen sehr eingeschränkten Zugang und wenig Wissen bezogen auf Technologie hatte: “Ihm eine App zu zeigen, die einen Song elektronisch samplen und zerlegen kann und die ihm nicht natürlich erscheint, führt in der Konsequenz zu Problemen sie für seine musikalischen Zwecke zu nutzen. Anders läuft es, wenn ein anderer nepalesischer Musiker mit den gleichen Voraussetzungen sich damit beschäftigt, der im einzigen Unterschied vielleicht schon elektronische Musik hört und mit ihr verbunden ist.” In diesen Fällen waren Unterschiede im kreativen Prozess “eher nicht in Beziehung zu Kultur und Ländern zu sehen, sondern zu Offenheit, Interesse und Zugang zu Technologien”. 

Rückblickend auf seine Reise, fand Gaspard heraus, dass – unabhängig vom Ort und des Instruments – der Eifer zu spielen, zu experimentieren und zu gestalten unter den Musiker*innen gleich blieb. Die Künstler*innen zeigten auch die gleiche Haltung bezogen auf Erfahrungen: Neugierig im Prozess und die Hingabe etwas Neues während der Sessions zu erschaffen. Auf der anderen Seite zeigten1 Nicht-Musiker*innen eine generelle Angst überhaupt zu beginnen. Dadurch wird deutlich, dass der kreative Prozess sich nicht zwischen den Kulturen unterscheidet, sondern unter Künstlern universellen Prinzipien folgt, die aus ähnlichen Mustern bestehen: Musiker erforschen den Looper, zerlegen ihre Ideen, beginnen zu experimentieren, passen ihre Ideen an, experimentieren erneut, improvisieren und all dies in einem nonlinearen, iterativen Vorgehen. Was hingegen stark voneinander abwich, waren die2 Ergebnisse: “Jede*r hat eine andere Kreativität”, fasst Gaspard es zusammen. Auch wenn der kreative Prozess gleich bleibt, war das Ergebnis jeder Loop Session anders. So wie jeder Mensch mit seinen Erfahrungen und Erinnerungen unterschiedlich ist, spiegelt sich dieser Umstand auf verschiedene Weise in allen Resultaten wieder, die für sich genommen alle einzigartig sind. 

Das komplette Interview mit Gaspard Bonnefoy in französischer Sprache

Info

Ein Beitrag von Thomas Castéran.
Übersetzung von Benjamin Stromberg.
Das Interview wurde am 07.11.2016 und 02.11.2017 von Thomas Castéran durchgeführt.
Bilderquelle: Gaspard Bonnefoy.

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