Essay
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Annalena Maas & Greta Verlage

Machtdynamiken und Intimacy Directing: a daily business love affair

Ein Essay über den Umgang mit persönlichen Grenzen im beruflichen Kontext

Ich liebe es, Macht zu haben. Ich weiß, das ist kein hippes Statement – aber es ist wahr. Ich liebe es, wenn Menschen etwas tun, weil ich es ihnen gesagt habe. Mit diesem Statement bin ich mir der gesamten Verantwortung bewusst, die damit einhergeht. Ja, es ist ein berauschendes Gefühl, winzige Hinweise dessen wahrzunehmen, was sein könnte, und diese noch nichtexistente Zukunft mehr und mehr durch die eigene Macht zu manifestieren.

Lange Zeit habe ich mich ausgiebig an diesem Gefühl berauscht. Doch wie bei jedem Rausch, bekommt man auch hier einen Kater. Wissenschaftler:innen warnen seit Jahren vor dem Einfluss von Macht auf das menschliche Gehirn. Es tut uns nicht gut, über andere Menschen zu bestimmen. Eine Reihe von Untersuchungen hat gezeigt, dass Macht zu einer negativen Einstellung anderen gegenüber führt.[1] Menschen, die viel Macht besitzen, sind nachweislich asozialer, unempathischer und manipulativer als der Durchschnitt.[2]

Mein Macht-Kater bereitete mir manchmal schlaflose Nächte. Nutzte ich meinen Einfluss tatsächlich so, dass es allen Menschen (und nicht nur mir) dadurch besser ginge? Ist die durch mich hervorgebrachte Zukunft wirklich gut? 

Als Beraterin und als Regisseurin erlebe ich die Entwicklungen in der Kunst und der Wirtschaft neugierig und kritisch. Besonders freut es mich, wenn ich erlebe, dass sich Erkenntnisse aus der einen Disziplin in die andere übertragen lassen und sich so produktive neue Synergien bilden. Und so fand ich meine Pille gegen den Macht-Kater in der künstlerischen Arbeit.

Durch die #MeToo-Bewegung entwickelte sich in der Regiearbeit bei Theater und Film der neue Beruf der Intimacy Direction. Kaum eine aktuelle Serie kommt ohne diese Position aus – zum Glück. Die Intimacy Direction sorgt dafür, dass trotz klarer und starker Machtdynamiken persönliche Grenzen, zu jedem Zeitpunkt der Produktion, gewahrt bleiben. Die Basis für diese Arbeit bildet der “Consent”[3] (in diesem Kontext am ehesten mit dem deutschen Wort „Einwilligung“ oder „Zustimmungen“ zu übersetzen). Das Konzept des Consents beschreibt die Praxis, dass jede Person entsprechend der eigenen persönlichen Grenzen die Zustimmungen zu Verhaltensweisen geben oder verweigern kann. Ihr liegt die Annahme zu Grunde, dass es „stille“ Zustimmung nicht vorausgesetzt werden kann sondern „Zustimmung“ aktiv gestaltet werden muss. Consent ist also individuell abhängig von Person und Situation. Der besondere Fokus der Consent-Methode liegt darauf, die Handlungsfähigkeit aller Beteiligten zu sichern und ein konstruktives, kollaboratives Arbeiten zu etablieren. Durch eine Orientierung im Arbeitskontext am Konzept des Consents werden alle Beteiligten, sowohl Arbeitgeber:innen als auch Arbeitnehmer:innen, in ihren individuellen Grenzen geschützt.

Bei der Regiearbeit ist eine Szene dann intim, wenn sie zum Beispiel körperliche Nähe zwischen den Schauspieler:innen fordert, wie bei einer Kuss- oder Sexszene. Jedoch beginnt Intimität schon lange, bevor die tatsächliche physische Berührung stattfindet, was uns zu dem für Unternehmen und Organisationen relevanten Teil führt.

Intimität liegt immer dann vor, wenn Bezugspunkte zum privaten Leben der Mitarbeitenden existieren.

Doch was genau sind Bezugspunkte zum privaten Leben?

Ein klassisches Beispiel sind persönliche Verhaltensmuster wie die Konfliktlösungsfähigkeit, da Konfliktsituationen im Arbeitsalltag oft nicht ausreichend geregelt sind und Reaktionen individuell und von persönlicher Prägung abhängig sind. Unsere kommunikativen Fähigkeiten sind stark mit unserer Sozialisierung verbunden, wodurch sich manchmal in Unternehmen etabliert, dass eine Person neben ihren eigentlichen Arbeitsaufgaben stets vermittelt und immer ein offenes Ohr hat, weil sie einfach so der Typ ist Unabhängig davon, ob sich die Person mit der zusätzlichen Rolle der ständigen Mediatorin neben ihrer eigentlichen Arbeit in dem Unternehmen wohl fühlt. Aber auch der Umgang mit Arbeitszeit kann Bezugspunkte zum privaten Leben enthalten. Gerade, wenn es um Arbeitszeiten und eine Erwartungshaltung geht, die sich außerhalb der vertraglich geregelten Arbeitszeit abspielt. Wenn von Mitarbeitenden zum Beispiel regelmäßig verlangt wird, auch nach Feierabend noch auf Abruf für mögliche Notfälle verfügbar zu sein, obwohl sie laut Arbeitsvertrag feste Arbeitszeiten haben und nicht für Rufbereitschaft bezahlt werden. Die Frage auch hier: wer definiert was ein Arbeitsnotfall ist, bei dem auch am Wochenende alles stehen und liegen gelassen und sich stattdessen schleunigst vor den Laptop gesetzt werden muss? In einigen Branchen wird unausgesprochen erwartet, dass ein spontanes Einspringen und Überstunden absolvieren “einfach mit dazu gehört”. Es herrscht also eine Diskrepanz zwischen etablierter Kultur der Erreichbarkeit, die in dem Unternehmen erwartet wird, und den Festlegungen, die im Arbeitsvertrag festgesetzt sind.

Was für einige in Ordnung geht, ist für andere kapazitätsmäßig nicht zu stemmen. Einer Mitarbeiterin ist es vielleicht nicht möglich, auf Arbeitsnotfälle zu reagieren oder auch mal eine Stunde länger zu bleiben, da sie feste Termine für ihre Therapiestunden hat. Das persönliche Thema der Therapie möchte sie jedoch im Unternehmen aus einer persönlich gesetzten Grenze, zwischen Arbeit und Privatem, nicht kommunizieren. Für sie ist es schwierig, die Balance der Verantwortung gegenüber der Firma und ihrem mentalen Wohl zu halten und die richtige Kommunikation zu finden, bei der ihre persönlichen Grenzen gewahrt werden.

Oder ein anderer Mitarbeiter kümmert sich um ein Kind, welches besondere Pflege und Aufmerksamkeit bedarf. Auch er möchte das auf der Arbeit ungern zum Thema machen, da er es genießt, dass er dort nur als Angestellter beurteilt wird und seine persönliche Situation keine Rolle spielt.

Wir halten fest: der Graubereich, wann erwartet werden kann, für Notfälle auf der Arbeit einzuspringen, ist für Arbeitnehmer:innen intim. Um der Bedürfnis-Balance der Arbeitgeber- und Arbeitnehemer:innen gerecht zu werden, benötigt es einen individuellen kommunikativen Aushandlungsprozess, bei dem die Consent-Methode Lösungen bietet und sich Potentiale bestmöglich erschließen lassen. Der Vorteil der Consent-orientierten Herangehensweise ist, dass die Angestellten keinen dieser zuvor genannten privaten Gründe bezüglich der Arbeitszeit teilen müssen. Das Private bleibt privat, denn Niemand sollte sich verpflichtet fühlen, Privates zu teilen.

Der Consent-orientierte Ansatz bietet einfache Handlungsoptionen, wie eine situationsangemessene Grenze der eigenen Bedürfnisse kommuniziert werden kann, trotz einer Abhängigkeit und einem Machtgefälle, in dem sich Arbeitnehmer:innen und Arbeitgeber:innen automatisch befinden. So könnte in diesem speziellen Fall die Vorgesetzte das Gespräch suchen und den Angestellten mit dem behinderten Kind fragen, was er bräuchte, um in Notfällen zukünftig reagieren zu können. Der Angestellte kann für sich überlegen, was das wäre, beispielsweise mehr Gehalt, um jemanden für die Pflege des Kindes außerhalb der Arbeitszeit bezahlen zu können. Oder die Mitarbeiterin, die regelmäßig zur Therapie geht, könnte den Wunsch auf die Möglichkeit von Homeoffice kommunizieren, um so ihrem Ruhebedürfnis vor und nach der Therapiestunde besser nachzukommen. Die Bedürfnisse stehen hier für sich, die Gründe müssen nicht zur Sprache kommen und trotzdem würde die Arbeitssituation nachhaltig für beide Parteien verbessert und die Kommunikation in einem produktiven, schützenden Rahmen eingebettet sein.

Die Grenze zwischen Beruflichem und Privatem ist nur sehr schwer und vor allem sehr individuell zu ziehen. Ein Consent-orientierter Umgang in Unternehmen ist eine Möglichkeit, die klassischen und etablierten Machtstrukturen so zu gestalten, dass die persönlichen Grenzen der Mitarbeitenden in jeglicher Unternehmensposition konstruktiv genutzt werden. Mit Hilfe der Consent-Methoden kann das Management Lösungswege finden, die unabhängig von der privaten Geschichte der Mitarbeitenden sind. Den Mitarbeitenden auf der anderen Seite werden kommunikative Methoden an die Hand gegeben, mit denen sie befähigt werden, ihre persönlichen Grenzen zu setzen, ohne dass die Arbeit und Effektivität beeinträchtigt wird.


[1] M.Ena Inesi u.a, “How Power Corrupts Relationships:Cynical Attributions for Other’s Generous Acts”. Journal of Experimental Social Psychology, Vol. 48, Issue 4 (2012), S.795-803

[2] Vgl. Keltner, Das Macht-Paradox (2016), S.101-134

[3] Nicht zu verwechseln mit den Begriffen des  „Konsent“ welcher die Entscheidungsfindung  in Gruppen beschreibt. Konsent Entscheidungsfindung – #DNO (digitaleneuordnung.de)

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