Interview
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Dirk Dobiéy

Den Begriff Fehler gibt es im Künstlerischen nicht.

Professor Michael Brater über Umwege und Experimentierfreude in Kunst und Wirtschaft.

Bildungsforscher Michael Brater beschreibt im Interview mit Age of Artists, dass es Fehler im künstlerischen Umfeld gar nicht gibt. Er hat bei Künstlern die eigentlich grundlegende Haltung erkannt: „Es hängt nicht davon ab, dass etwas passiert was ich nicht gewollt habe, sondern wie ich damit umgehen kann. Ein Fehler wird es erst dann, wenn ich ihn nicht bewältigen kann.“ Das eigentlich Interessante sei das experimentelle „Spielen“, wie Brater es nennt. Eine kindlich-­forschende Haltung zu fördern eröffnet neue Wege: „Mir stellte sich die interessante Frage wie Künstler handeln, die keinen klaren Bezugspunkt, kein im Voraus festgelegten Ziel haben. Die Künstler wollten etwas vages, beispielsweise eine Plastik, fertigen, aber das ist kein Ziel, auf das hin sie ihre Mittel organisieren können, sondern das Ziel entsteht im Prozess. Das ist ein entscheidender Unterschied! Ich muss nicht das Ziel zuerst haben und daraufhin meine Prozesse organisieren. Ich kann vielmehr einfach anfangen, ich kann betrachten, wie das Ziel entsteht, ich kann schließlich wahrnehmen was geworden ist, ohne dass ich das von vorneherein wollte. Ich kann ausprobieren, ich spiele damit und sehe was möglich ist und finde eine Spur und plötzlich sehe ich in welche Richtung das gehen könnte. Das ist das kreative Element.“ Michael Brater forscht bereits seit den 1980er Jahren an der Schnittstelle von Kunst und Wirtschaft: „Ich finde die Bedeutung und Möglichkeiten werden in keiner Weise ausgeschöpft. […] Jemand der Zugang findet und in der Lage ist diese getrennten Welten einander anzunähern der hat wirklich eine große Aufgabe.“ Wirtschaft und Gesellschaft können durch diesen Ansatz ganz neue Impulse erfahren: „Wenn der Mensch aus seinem rationalistischen Käfig befreit wird darf er in die Irre gehen, darf was zurücknehmen. Es muss nicht sofort auf den Punkt stimmen. Umwege erhöhen die Ortskenntnis”. Zunächst erscheinen diese Umwege unökonomisch, meint Brater und fährt fort, aber wenn man sie mit etwas Abstand betrachtet dann erkennt man, dass sie Orientierung ermöglichen und so die Qualität einer Lösung erhöhen. Es kommt darauf an, dass  man diese Fehlerfahrungen nicht wieder vergisst.“

Im Interview lesen Sie welche Unternehmen sich bereits erfolgreich auf künstlerische Strategien eingelassen haben und welche Herausforderungen es auf diesem Weg gab.

Das komplette Interview mit Michael Brater online lesen

Einleitung

Michael Brater wurde 1944 in Siebeldingen geboren und studierte von 1964 bis 1971 Soziologie, Philosophie und Psychologie in München und Berlin. Von 1971 bis 1980 arbeitete er im Sonderforschungsbereich 101 der Universität München. 1980 gründete er die Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung mbH (GAB) in München. In den darauffolgenden Jahren widmete er sich der Bildungs- und Sozialforschung und hatte diverse Lehraufträge. Der Professor für Berufspädagogik und Kulturpädagogik leitet seit 2007 das Institut für Kunst im Dialog an der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft.

Interview

AoA: Warum forschen Sie an der Schnittstelle von Kunst und Wirtschaft?

Michael Brater: Ich beschäftige mich mit dem Thema bereits seit den 80er Jahren. Hintergrund ist die  Berufsbildung. Auch bei Forschungsaufträgen spielte die Kunst eine gewisse Rolle. Seither beschäftige ich mich mit dem Thema. Ich finde die Bedeutung und Möglichkeiten werden in keiner Weise ausgeschöpft und es fehlen Leute wie Sie, die so etwas in die Hand nehmen können. Künstler selber sind sehr engagiert, aber auch in ihre Welt verstrickt, das heißt man ist so tief in seinem Spezialgebiet drinnen, dass man das andere gar nicht sieht. Künstler, die diesen Weg finden, also künstlerisch durchdrungene gesellschaftliche Prozesse gestalten, findet man selten. Jemand der Zugang findet und in der Lage ist diese getrennten Welten einander anzunähern der hat wirklich eine große Aufgabe. Wir alle die wir so denken klammern uns an eine Beobachtung, denn es gibt eine strukturelle Parallele, die wir nicht richtig zu fassen bekommen. Eine Parallele zwischen dem wie Künstler handeln oder wie sie sind oder was sie suchen und dem was mit den großen Problemen in der Wirtschaft oder Gesellschaft zu tun hat. Eine riesige Komplexität. Für mein Verständnis steckt im künstlerischen Vorgehen eine sehr eigene Form der Komplexitätsbewältigung ohne Modellbildung. In der Betriebswirtschaft hingegen reduziert man Komplexität durch Modellbildung. Nehmen wir beispielsweise die Kontrollillusion. Die Idee, dass Management eine Organisation leiten oder gar kontrollieren könnte, ist eigentlich völlig abwegig. Es kommt nicht darauf an, ob Führung leiten kann, sondern ob man mit Unvorhersehbarem umgehen kann. Das wäre zum Beispiel zu erforschen. Ich finde es hochinteressant aber nicht überraschend, dass Sie mit einer derartigen Offenheit gerade aus der Informationstechnologie kommen. Die Zustimmung zu dem was wir mit dem künstlerischen Handeln machen, ist gerade im IT-Bereich erstaunlich hoch. Der kreative Prozess ist da zwar ein anderer, aber anscheinend sehr nah am künstlerischen dran.

AoA: Sie sagten, dass Sie bereits seit den 80er Jahren in dem Themenbereich aktiv sind. Wie kamen Sie dazu?

Michael Brater: Nach meiner Forschungsarbeit an der Uni stellte sich die Frage ob ich habilitieren soll oder nicht. Und wir stellten uns damals die Frage, welches interessante Problem wir uns vornehmen sollten. Ich wollte eher Praxiserfahrungen machen und nicht weiter theoretisch tätig sein, also habilitierte ich nicht. Ich habe die Gesellschaft für Ausbildungsforschung gegründet. Das sollte ein Beratungs- und Forschungsinstitut werden für Probleme der beruflichen Bildung. Unser Hauptinstrument war hier 30 Jahre lang der Modellversuch, also mit Firmen zusammen für bestimmte Problemstellungen in der Bildung neue Lösungen zu finden. 1980 haben wir angefangen und unser Brot damit verdient, dass wir Auftragsforschung gemacht haben. Unternehmen oder soziale Träger haben innovative Projekte gemacht und brauchten eine wissenschaftliche Begleitung. Das erste Projekt war mit der Firma Philips in Wetzlar. Die haben damals Autoradios gemacht und in diesem Zusammenhang ein Förderprojekt für arbeitslose Mädchen entwickelt, die keine Ausbildung gefunden haben. Philips hat eine einjährige Sondermaßnahme gespendet, bei der diese Mädchen  die Hälfte der Zeit in der Produktion gearbeitet haben und die andere Hälfte bestand aus allgemeinbildendem Unterricht. Das führte nicht ganz zum Nachholen des Hauptschulabschlusses. Aber 50% des Unterrichts beinhaltete künstlerische Übungen, kunstpraktische Aufgabenstellungen. Das war die erste Situation mit Kunst, zu der wir was sagen sollten. Wie wirkt das, wie gehen die Leute damit um und kann man Allgemeingültiges daraus ziehen? Hat das irgendeine pädagogische oder berufspädagogische Bedeutung? Der Betrieb sah das eher problematisch. Das hatte mit den Lehrern zu tun, die den Unterrichtsteil entwickelt haben: Waldorfpädagogen und Künstler. Der Direktor des Werks war total begeistert, viele andere empfanden das als Spinnerei. Der Direktor hatte aber vom Management in Eindhoven freie Hand bekommen. Da hat es sich darum bemüht, sein Projekt als Wirtschaftsmodellversuch, d.h. als berufspädagogisches Projekt vom Bildungsministerium des Bundes anerkannt zu bekommen. Wir bekamen vom Bundesinstitut für Berufsbildung direkt den Auftrag, für diesen Modellversuch die wissenschaftliche Begleitung  durchzuführen. Dazu gehörte u.a. die Frage, ob diese künstlerischen Übungen irgendeinen berufspädagogischen Sinn haben im Zusammenhang mit den Zielen der Maßnahme. Wir gingen also den künstlerischen Aufgabenstellungen und deren Wirkung nach und zwar mit Bezug auf die Berufsanforderungen. Erst mal war deutlich: Die Kultur der Künstler und die Kultur in einem Fertigungsbetrieb passten überhaupt nicht zusammen. Da kam eins zum anderen. Wir sind dort auch in die Rolle der Konfliktschlichter gekommen. Die Künstler haben sich ziemlich ungeschickt benommen, auch den Mädchen gegenüber. Das war unpädagogisch. Die kamen zu zwei Dritteln von einer kleinen Kunsthochschule. Also bin ich da hin. Das war sehr interessant und es wurde deutlich, dass die Lehrenden dort den Eindruck hatten, diese Künstler aus dem Projekt seien gut an der Kunsthochschule, aber wie sich die Kunst in das Leben einfügen sollte, das sei etwas ganz anderes und dazu wäre eine eigene Ausbildung nötig. Also haben wir mit Unterstützung des BMBF den Modellversuch „Künstler in sozialen Arbeitsfeldern“ begonnen. Wir haben ein eigenes Aufbaustudium entwickelt, für Künstler, die ihre Kunst nicht nur an die Wand hängen, sondern gesellschaftlich damit etwas bewirken wollten. Dadurch bin ich bis heute mit diesem Thema verbunden. Ich habe in diesem Studiengang auch selbst unterrichtet. Ende der 90er wurde die bis dahin private Kunsthochschule staatlich anerkannt und bekam auch etliche wissenschaftliche Fachbereiche und Studiengänge, vor allem Pädagogik und BWL. Da haben sie mir eine Professur angeboten. Ich habe das dann übergangsweise machen wollen für begrenzte Zeit, aber es hat sich dann etwas anders entwickelt, weil sehr interessante Projekte auf mich zu gekommen sind. Im Augenblick mache ich als größtes Projekt “Studica – Studieren a la carte“. Die Idee ist, neue Zielgruppen – z.B. Berufserfahrene – für wissenschaftliches Wissen zu gewinnen, wenn die nicht komplette Studiengänge studieren müssen, sondern frei nach ihrer momentanen Situation ihr Wissen zusammenstellen können. Wir haben gerade den Antrag zur Förderung für die zweite Phase abgegeben. Wir möchten das jetzt wieder stärker mit der beruflichen Bildung verzahnen. 

2012 ist erstmals ein größerer Anteil aller Schulabgänger studieren gegangen als in eine berufliche Ausbildung. Das ist eine Wendemarke. Außerdem werden immer mehr Ausbildungen, die bisher nicht über ein Studium führten, jetzt akademisch. Ein Bachelor in Frühpädagogik, also Erzieher, zum Beispiel. Da kann man fragen, was das soll? Was wird eigentlich aus diesem Beruf wenn man ihn verwissenschaftlicht? 

Ich mag die These sehr, dass in beinahe allen Berufen und Arbeitsfeldern immer mehr wissenschaftliches Wissen nötig wird. Thema Wissensgesellschaft. Es bedeutet ja auch ein Stück Bewegung in eine gute Richtung. Die Frage ist, wie man wissenschaftliche Haltung, Methoden und Denkweisen in die beruflichen Tätigkeiten integriert. Es geht aber nicht darum, dass man die Berufe akademisiert und alle mit Masterabschluss versieht. Es geht vielmehr darum, dass praktische Berufe, in denen mehr Wissen gebraucht wird, dieses Wissen bekommen, aber auch damit umgehen können. Dazu müssen sie nicht zu Studiengängen werden, sondern man kann ja fragen, ob und wie das wissenschaftliche Wissen zu diesen Berufen kommt. Eine schöne Formel ist, das Ziel der Bildung sei es, Autor seines eigenen Lebens zu werden. Das hat der Philosophieprofessor Julian Nida-Rümmelin gesagt. Der war unter Schröder auch Kulturstaatssekretär und hat jetzt ein Buch zum Akademisierungswahn geschrieben. Das finde ich als Motto für mein Projekt super. Ich lerne nicht das, von dem irgendjemand gemeint hat, es sei wichtig für mich, sondern ich lerne das, was ich will und was mich interessiert und was ich vielleicht auch brauche. Die Bachelorstudenten werden heute dagegen oft wie Kinder behandelt, denen „Erwachsene“ vorschreiben, was sie lernen sollen (was ja bei Kindern letztlich auch nicht klappt). Wie sollen sie erwachsen werden wenn sie wie Kinder gegängelt werden?

Noch mal zurück zu der künstlerischen Sache. 1981/82 war ich stark handlungsorientiert. Wie handeln Menschen, was treibt sie an? Das war mein damaliger Hintergrund. Ich hatte die Idee, die künstlerischen Prozesse nicht vom Produkt her zu sehen, sondern mich interessierte, wie macht ihr das, wie kommt ihr da hin? Das war der Einstieg in das künstlerische Handeln. Der Kern ist bis heute geblieben und hat sich nicht geändert: Das ist die Erfahrung, dass künstlerisches Handeln sich unterscheidet von dem, was damals in der soziologischen Theorie und in der Arbeitswissenschaft zum Handeln gesagt wurde. Hacker’s Ansatz war die Regulationsebenentheorie. Wie steuert ein Mensch seine Handlungen damit sie immer wieder einem Ziel dienen? Das hat ihn interessiert. Er hat aber nie in Frage gestellt, dass der Mensch einen klaren Bezugspunkt in Form eines Ziels hat. Mir stellte sich die interessante Frage wie Künstler handeln, die keinen klaren Bezugspunkt, kein im Voraus festgelegten Ziel haben. Wie läuft bei denen, jetzt technisch gesprochen, die Handlungsregulation ab? Die Künstler wollten etwas vages, beispielsweise eine Plastik, fertigen aber das ist kein Ziel, auf das hin sie ihre Mittel organisieren können, sondern das Ziel entsteht im Prozess. Das ist ein entscheidender Unterschied! Ich muss nicht das Ziel zuerst haben und daraufhin meine Prozesse organisieren. Ich kann vielmehr einfach anfangen, ich kann betrachten, wie das Ziel entsteht, ich kann schließlich wahrnehmen was geworden ist, ohne dass ich des von vorneherein wollte. Ich kann ausprobieren, ich spiele damit und sehe was möglich ist und finde eine Spur und plötzlich sehe ich in welche Richtung das gehen könnte. Das ist das kreative Element.

AoA: Da Sie von spielerischem sprechen: Haben Sie auch auf Schiller und seine ästhetische Theorie Bezug genommen?

Michael Brater: Ich habe mich mit den ästhetischen Briefen etwas schwer getan als Soziologe. Die politischen Teile waren mir etwas zu forsch. Ich habe später, als mir das mit dem künstlerischen Prozess dämmerte, die Briefe noch mal gelesen und habe da ganz viel wieder gefunden. Ich weiß nicht, ob das Schiller ist oder ob ich das da rein interpretiert habe. “Der Mensch ist nur ganz Mensch, wo er spielt” – das könnte schon auf die Künstler passen.. Ich habe auch 20 Jahre gebraucht bis ich mich getraut habe und das künstlerische Handeln „Spielen“ nennen konnte. 

AoA: In der Wirtschaft spricht man heute von ‘Gamification’. Spielerische Wege um Verhalten zu steuern.

Michael Brater:  Da gibt es unheimlich tolle Parallelen in der Entwicklung wissenschaftlicher Methodologie. Das finde ich richtig gut. Erstens gibt es Kunstforschung, also Kunst als Forschungsmittel. Spielen ist eine Vorgehensweise, durch die ich über einen Gegenstand etwas rauskriegen kann. Ich probiere also. Das ist die eigentliche investigative Haltung. Wenn ein Kind spielt, forscht es oder anders herum und lernt die Welt kennen.

AoA: Dieses forschende, iterative finden wir auch in der agilen Softwareentwicklung.

Michael Brater: Das ist so ein Stichwort das mir auch untergekommen ist. Genau das ist es. Aber überlegen Sie mal, was das für Folgen hat. Wenn der Mensch aus seinem rationalistischen Käfig befreit wird, darf er in die Irre gehen, darf er was zurücknehmen. Es muss nicht sofort auf den Punkt stimmen. “Umwege erhöhen die Ortskenntnis”. Kurz gesehen ist es unökonomisch, aber wenn man es etwas weiter sieht, dann ist es langfristig das, was ihm überhaupt Neues ermöglicht. Es kommt darauf an, dass man diese Fehlererfahrungen und ihre Fruchtbarkeit nicht wieder vergisst.

AoA: Das ist auch ein Thema das wir immer wieder finden. Fehler machen und kein Problem damit haben. 

Michael Brater: Den Begriff Fehler gibt es im Künstlerischen eigentlich nicht. Es hängt nicht davon ab, dass etwas passiert, was ich nicht gewollt habe, sondern wie ich damit umgehen kann. Ein Fehler wird es erst dann, wenn ich ihn nicht bewältigen kann. Da sind Sie ganz schnell bei der Frage nach der Haltung. Völlig zu Recht! Frage ich, ob ich jetzt verzweifle oder ob ich den Fehler als Herausforderung betrachte. Ich habe viel mit Jugendlichen in sozialen Feldern gearbeitet. Da gab es eine Regel der Künstler: Es wird nichts weggeschmissen! Sie sollten schauen, was zu retten ist und daran weitermachen und sich durchbeißen. Es ist eine elementare, sehr menschliche Fähigkeit, sich nicht aufzugeben, nicht zu verzweifeln. Und sich am Erfolg erfreuen, der sich zwangsläufig irgendwann einstellt – auch wenn es vielleicht nicht der ist, den ich erwartet habe oder den ich laut irgendeiner Vorgabe haben soll. Und die Individualität des (persönlichen) Erfolgs zu akzeptieren der vielleicht nicht darin besteht, nachher im Schloss zu wohnen, sondern dass ich meine Arbeit einfach toll mache und etwas Gutes mache. Das hat auch etwas mit der Eindimensionalität der Erfolgskriterien zu tun. Ich glaube, ein Künstler hat überhaupt keine klaren Erfolgskriterien. Ich lasse dabei die ganzen Vermarktungskriterien weg. Das ist ja kunstfremd. Jetzt im Werk schaffen. Eine der Künstlerinnen die ich immer zitiere, eine österreichische Malerin, die sagt, sie macht nicht, was sie sich ausdenkt, sondern sie macht etwas, damit es hinterher, wenn es da ist, sie überrascht. Dass der Künstler sich von seinem eigenen Ergebnis überraschen lässt und sich daran freut, dass es so geworden ist. Mit Schriftstellern können Sie reden, warum jetzt eigentlich der Held so und so geworden ist und das Problem so gelöst hat. Dann sagen die, „ich weiß auch nicht, der war halt klug“.

AoA: Mit Künstlern welcher Gattungen haben Sie gesprochen?

Michael Brater: Breit. Wir haben mit Malern, Bildhauern, Tänzern, Musikern und Schriftstellern gesprochen.

AoA: Wie integrieren Sie, was Sie von den Künstlern gelernt haben, in die Praxis und welche Hindernisse sind Ihnen begegnet?

Michael Brater: Wir haben versucht, künstlerische Methoden ganz praktisch in die berufliche Bildung zu integrieren. Die Lehrlinge müssen eine Ahnung vom künstlerischen Vorgehen, vom künstlerischen Handeln haben. Resonanz haben wir eher bei der Leitungsebene gefunden. Auf dem Weg zur Realisierung ist es dann eher stecken geblieben, also im mittleren Management. Die haben geäußert, Angst zu haben, dieses Konzept ihren Ausbildungsmeistern zu erzählen, da die sie auslachen würden und sie sich das nicht leisten können. Das sind Ängste und das macht deutlich, dass dieses geplante, rational durchstrukturierte eine gewisse Sicherheit gibt. Hier steckt m.E. der Kern des Problems, künstlerische Haltungen und Handlungen zu verbreiten, z.B. in der Berufsausbildung. Der Schritt ich will keine neue Sicherheit, sondern ich will lernen, mit Unsicherheit umzugehen: das wäre der entscheidende Durchbruch. Spitzenmanager haben das. Für die ist das nichts Neues. Deshalb müssen die eine geringere Schwelle nehmen als jemand, der in tieferer hierarchischer Position in der Linie tätig ist. Es gibt ein paar Erfolgsgeschichten. Es gibt höhere Manager, die sich für den künstlerischen Ansatz sehr begeistern konnten und sich geöffnet haben.  Eine Zeit lang habe ich überall wo ich aufgetreten bin, eine bestimmte Übung gemacht, um „zweckrationales“ und „künstlerisches“ Handeln zu vergleichen bzw. um den Unterschied erlebbar zu machen.  Bei manchen Teilnehmenden hat sich das Universum geöffnet und andere haben es gar nicht verstanden. Ich denke schon, dass es darum geht, eine Erfahrung zu vermitteln anstatt viel zu reden. Ich ändere meine Haltung nicht, weil mir einer gut zuredet, sondern dann, wenn ich selber merke dass die alte Haltung nicht mehr tragfähig ist. Also versuche ich es wenigstens, ob ich es schaffe ist dann eine andere Frage.

AoA: Sie haben die Ausbildungsprogramme bei dm mitentwickelt. Was war das für ein Programm?

Michael Brater: Das gibt es zwei Entwicklungen. Mit der einen hatte ich nur akklamierend zu tun. dm hat seine gesamte Ausbildung mit meinem Institut umgestellt. Lernen in der Arbeit ist der Ansatz. Die Lehrlinge lernen nicht per Papier oder Anweisung, sondern sie lernen, indem sie mitarbeiten. An dem Prozess sind wir seit den 80er Jahren stark beteiligt. Eine der Ideen war es, klar zu machen, dass die Handwerksausbildung, die sehr verrufen war, ein wichtiges Element beinhaltete das es zu bewahren gilt, nämlich im Prozess zu lernen und alle Unwägbarkeiten eines Prozesses mitzukriegen. Man muss es heute nur bewusster gestalten und nicht die Leute sich selbst überlassen. Ein begleiteter Prozess. Lernbegleiter heißt das heute und nicht mehr Ausbilder. Das hat auch viele Parallelen zu den künstlerischen Dingen. Bis sie den Ausbildern klar gemacht haben, dass es viele Lösungen für ein Problem geben kann und dass sie den Lehrling doch mal seine Lösung finden lassen können ohne gleich zu sagen, dass die Ausbilder-Lösung besser ist, dauert eine Weile. Es ist das Elementarste, was es überhaupt gibt: Die bewusste kreative Denkbewegung eines anderen Menschen als solches zu akzeptieren und anzuerkennen. Wenn man das nicht tut, dann versucht er das eigenständige Denken nie wieder und fragt immer, wie es gehen soll. Das ist auch in der Erwachsenenbildung der Ansatz. Parallel dazu gab es bei dm Kunstbetrachtungen der Geschäftsleitung mit Michael Bockemühl. Darüber gibt es auch ein Buch zusammen mit Dröge („Das Wie am Was“. Beratung und Kunst). Da geht es aber nicht um das künstlerische Handeln, sondern um die Horizonterweiterung der Manager. Da ging es mehr um bewusstseinsbildende Übungen und Betrachtungen. Und schließlich gab es ein Drittes, nämlich das Programm „Abenteuer Kultur“, das wieder für die Lehrlinge. „Abenteuer Kultur“ ist ein Theaterprogramm für Lehrlinge, ein Pflichtprogramm im ersten und zweiten Lehrjahr. Jeweils 10 Tage Theaterworkshop mit professionellen Künstlern. Die entwickeln ein Stück und führen das vor der Geschäftsleitung und Publikum vor. Eine tolle Sache. Das ist schon eine riesige Herausforderung für junge Leute, sich auf die Bühne zu stellen und ein Stück aufzuführen, so dass auch was rüber kommt. Das muss zuerst einmal von der Struktur möglich gemacht werden und dann muss es von der individuellen Potenz gefüllt werden. Das zusammenzubringen ist ein komplexer Prozess.

AoA: Auf Basis Ihrer Interviews haben Sie Thesen aufgestellt. Was können Sie darüber erzählen?

Michael Brater: In ihrem Manifest kommt Kopf, Herz und Hand vor. Da habe ich mich gefragt wo ist eigentlich das Herz in unserem künstlerischen Handeln. Und ich denke es ist genau an diesem Punkt. Herz im Sinne von emotionaler Intelligenz oder ein nicht rationales Entschlüsseln der Situation. Gernot Böhme zitiere ich ja häufig. Über das Atmosphärische gibt es ein Buch von ihm. Der traut sich als Philosoph, philosophisch über solche weichen Sachen nachzudenken, wie Atmosphärisches. Das hat vor ihm noch nie jemand erforscht, was das eigentlich ist. Der hat versucht, es kategorial zu fassen zu kriegen. Ein zentraler Begriff bei ihm ist der Ausdruck. Den halte ich für sehr entscheidend, um das, was im Künstlerischen passiert, zu fassen. Künstler produzieren eben keine Autos, sondern sie schaffen Ausdruck, sie benutzen Materialien um sie so zu formen dass sie nicht etwas nützen, sondern eben Ausdruck bekommen. Das ist ein wesentliches Element, was über das künstlerische Handeln in unserem bisherigen Sinn hinausweist. Sie handeln nicht nur, sondern die Künstler sind in einer ganz anderen Sphäre tätig. In der Ebene des Ausgedrückten. Das Gestaltete, das nicht bloß rationale Erkenntnisse lostritt, im Sinne von „was ist das?“, sondern das Gestaltete, das auch atmosphärische Erkenntnis schafft. 

AoA: Gefühle in anderen auslösen.

Michael Brater: Die Künstler, mit denen ich geredet habe, suchen das. Die merken ob es passt oder nicht. Das Buch von Gernot Böhme heißt Aisthetik, griechisches Wort für Wahrnehmung, bei dem die emotionale Komponente sehr stark mitschwingt. Schönheit ist nicht nur was ich sehe, sondern auch was mich berührt. Ein Projekt, das ich mit einem Dienstleister gemacht habe, da war das genauso. Wenn Sie sich als Dienstleister nur an dem orientieren, was der Kunde sagt, dann werden sie den nur schwer zufrieden stellen. Sie müssen mitkriegen was zwischen den Zeilen gemeint ist. Mein Schwiegersohn macht Sicherheitssysteme für Banken. Ich rede oft mit ihm über seine Tätigkeit. Das ist gar nicht so technisch, wie man denkt. Der redet mit den Bankern und die beschreiben, was für sie das Problem ist, aber er muss eigentlich das Gefühl dafür entwickeln, was sie wirklich meinen. Bei der Dienstleistung spielen ganz viele Dinge in die Zufriedenheit: „ich fühle mich hier wohl, ich komme wieder, ich bin gut beraten, zieht mich nicht über den Tisch“. Das ist schon eine alltägliche Realität. Um auf die Frage mit dem Gespür zurückzukommen. Ein Kollege von der Uni Augsburg, Fritz Böhle, der ist Industriesoziologe und Arbeitswissenschaftler, und beschäftigt sich seit vielen Jahren, angeregt von der frühen Computerarbeit, was er subjektivierendes Handeln nennt. Der klassische rationale Arbeitsbegriff beschreibt ein „objektivierendes“, d.h. zweckrationales, rational gesteuertes Handeln. Böhle hat Untersuchungen gemacht, die aber zeigen, dass selbst in ganz rationalen, technischen Bereichen die Arbeit nie so „objektivierend“ funktioniert, sondern dass die subjektivierenden Anteile immer und oft entscheidend mitspielen. Er hat versucht herauszufinden, welche das sind. Ein wichtiges Ergebnis: Nicht das rationale Kalkül, sondern die abwägende Haltung spielt eine herausragende Rolle bei sehr vielen angeblich „rationalen“ Entscheidungen. Die aber entspricht einer Gespürkomponente.

AoA: Wie hat er das erforscht?

Michael Brater: Ich habe ein Projekt in der chemischen Industrie mit ihm gemacht. Diese Schichtmeister haben immer gesagt, die Lehrlinge die ihr uns schickt sind toll mit ihrer Basisausbildung, aber die brauchen mindestens fünf Jahre, bis sie unsere Anlagen überwachen können. Das liegt einfach daran, dass da erst ein Gespür wachsen müsse. Der Böhle hat mit mehreren Videokameras die Arbeitsabläufe gefilmt. Und hat das ausgewertet, was die Erfahrenen machen und wie sie reagieren. Und in einer Situation kommt da einer und stellt eine Verfärbung am Boden fest die da nicht sein soll. Also eine  Wahrnehmung. Ein Meister sagte mir einmal: „Jede Anlage hat ihre Melodie und wenn ich am Montagmorgen komme, merke ich, ob jemand falsch spielt“. Akustische Veränderung feststellen und sofort deuten können. Das lernt man nicht in arbeitsfernen, vielleicht gar schulischen Lernprozessen, sondern das ist nur vor Ort, in der Situation, durch Handeln zu erlernen.

AoA: Hier kommen wir in den Bereich der Erfahrung und Erkenntnis.

Michael Brater: Da gibt es einen arbeitswissenschaftlichen Klassiker von Patricia Benner, amerikanische Sozialwissenschaftlerin. Die hat ein Buch geschrieben, “From Novice to Expert”, das sich auf die Pflege bezieht. Sie ist genau dieser Frage nachgegangen: Wie ist das eigentlich mit der Regelbefolgung? Sie hat erst mal gefragt, wer ist hier ein Pflegeexperte. Sie hat ein paar Leute gefunden und hat deren Arbeit verfolgt. Und hat im Ergebnis herausgefunden, diejenigen, die sich sehr an Regeln halten, sind die Anfänger, die niemand ernst nimmt. Und je länger die das machen, desto brüchiger werden die Regeln und die wirklichen, anerkannten Pflegeexperten haben nur situativ gearbeitet und sich nur an Regeln gehalten, wenn es zur Situation passte, und sind ansonsten ihren eigenen Entscheidungen gefolgt. Wenn man dieses Gespür hat, kommt man nicht auf die Idee, die Regeln ernst zu nehmen. Die Reihenfolge ist schon sinnvoll. Aber auch bei Künstlern, wie bilden die eigentlich ihre Studenten aus? Nicht so beim Meisterklassenprinzip, aber an meiner Hochschule z.B. versuchen die Kunstprofessoren, gemeinsam die Studenten auf ihrem eigenen Weg zu begleiten. Die Idee ist: der Student soll nicht lernen, wie ich Kunst mache, sondern seinen Impuls finden und ihn realisieren können. Seine eigene Position finden. Beispiel die Entwicklung des Künstlers Gerhard Richter, dessen Position sich stark verändert haben seit seinen Anfängen. Das gehört zum Künstlerleben, sich auch wieder von dem lösen zu können was man gemacht.

AoA: Es gibt ja diese Mythen über Künstler: Narzissmus, Arroganz und Ähnliches. Haben Sie auch etwas Schlechtes gefunden?

Michael Brater: Was es schon gibt, das ist wenn es einen nicht mehr interessiert, dann interessiert es einen nicht mehr. Wenn mich meine Orientierung woanders hinführt, dann gehe ich der nach.

AoA: So eine Art Egoismus? Ich guck nicht mehr was hinter mir ist, sondern gehe weiter zum nächsten?

Michael Brater: Ich würde es nicht Egoismus nennen. Ich würde es eher mit Goethe formulieren: „das Gesetz nach dem ich angetreten, ist einfach stärker, dem gehorche ich“.

AoA: Aber doch eine Rücksichtslosigkeit?

Michael Brater: Wenn man es negativ formuliert ist das eine Rücksichtslosigkeit. In Beziehung auf Künstler gibt es das häufig. Menschen die sich jahrelang davon erholen müssen, weil es so radikal zugeht. Ich weiß nicht, ob es was mit Künstlern zu tun hat oder bestimmten Naturen.

AoA: Ich vermute Letzteres. Das finden wir in der Wirtschaft auch. 

Michael Brater: Ja eben, das ist ganz schön schwierig. Aus meiner privaten Bekanntschaft, da gibt es Künstler die ich wegen ihrer Sturheit auch bewundere. Wie die dran bleiben. Der Vater meines Patenkindes ist Bildhauer. Ich habe ihm alternative Arbeitsmöglichkeiten verschafft, aber er wollte nichts annehmen, er wollte seiner Sache weiter nachgehen mit großer Sturheit. Obwohl er materiell sehr eingeschränkt gelebt hat. Einen Impuls so ernst zu nehmen und so treu zu bleiben, da neige ich dazu so etwas zu bewundern.

AoA: Noch ein Punkt aus Ihrer Aufzählung: „Wiederfinden des Neuen, Individuellen auf einem originären, unwiederholbaren Erfahrungsweg“. Das heißt darauf aufbauen was schon da ist?

Michael Brater: Ja, Künstler zitieren sich auch meistens implizit. Jeder Künstler würde von sich verlangen dass er es solange ein- und umschmilzt bis es „Seines“, sein „Eigenes“ geworden ist. Erst dann hat es eine Berechtigung, im eigenen Werk aufzutauchen. Ich habe den Eindruck, dass es schon eine Mindestanforderung an sich selbst ist, etwas Originelles zu schaffen. Die wollen nicht verglichen werden. Man bewundert ja einen Ballettmenschen dafür, dass er einen völlig neuen Stil und Ausdruck findet. Damit ist die Brücke dessen, was ich als Kreativität anspreche, relativ stabil. In der modernen Kunst geht es um das Eigene und nicht um die Wiederholung.

AoA. Aber in dem Bewusstsein, dass man Teil einer langen Entwicklung ist.

Michael Brater: Die unglaubliche Vielfalt der Kunst. Da kommen wir vom künstlerischen Handeln zur Freude an der Kunst die einen da packt. Kunst – ein völlig unbegrenztes Spiel mit immer neuen Möglichkeiten, Kombinationen und Erfindungen.

AoA. Ist das nicht auch das, was wir in den anderen Bereichen anstreben? Das sind ja genauso unerschöpfliche Felder.

Michael Brater: Das sind auch für mich noch interessante Fragen. Ich habe in den 90er Jahren mit einem Menschen eng zusammengearbeitet. Der hat diese Computer Based Trainings sehr aktiv mitentwickelt. Mit ihm haben wir uns öfter über die Entwicklung von Leitbildern für Unternehmen unterhalten. Da sagt der „oh ja, das Leitbild finde ich prima, das mache ich in meinem Projekt auch. Ich bringe dir das nächste Mal eine Software zur Leitbildentwicklung mit.“ Mit einem Leitbild macht eine Organisation sich ihre Identität bewusst. Die Software die er mitbrachte basierte darauf, dass er 260 verschiedene Leitbildelemente kombinieren konnte. Ich habe mit ihm wirklich tagelang darüber diskutiert, dass die unterschiedliche Kombination bekannter Elemente noch nicht das Individuelle ausmacht. Das Individuelle ist doch nicht die unterschiedliche Zusammensetzung bekannter Elemente! Das war der Endstand unserer Diskussion. Ich hatte festgehalten er habe keinen Begriff des Individuellen. Für ihn ist das Individuelle nichts Eigenes und Neues, sondern die Variation bekannter Elemente. Er hat es immer versucht das Individuelle auf bekannte Elemente zu reduzieren. Das ist auch ein Teil des analytischen Vorgehens. Das spielt auch bei Künstlern eine große Rolle. Ich habe aber den Eindruck, das Künstlerische beruht eigentlich darauf, dass es zumindest die Suche nach dem wirklich Individuellen gibt.

AoA: Die Gesellschaft definiert ob etwas wirklich neu ist?

Michael Brater: Was ist der richtige Zeitpunkt? Im richtigen Moment an der richtigen Stelle zu sein.

A0A: Ist heute ein besserer Zeitpunkt als vor 25 Jahren, als Sie mit dem Thema angefangen haben?

Michael Brater: Ja. Das ist ja sowieso ein Thema, was mich sehr fasziniert. In der Pädagogik da hat man sehr starke humanistische Hintergründe, aber das Menschenbild dem wir irgendwo anhängen, ist doch immer noch sehr klassisch geprägt. Von der deutschen Klassik in unserem Fall. Dagegen ist finde ich faszinierend, dass heute die meisten persönlichen Entwicklungsimpulse von der Wirtschaftsentwicklung ausgehen! Ich habe den Eindruck: in der Gegenwart werden immer mehr Aspekte, die mal in diesem klassischen Bildungsideal sehr zentral waren, die aber nie realisiert wurden, alltägliche Forderungen, Notwendigkeiten der Wirtschaft. Autonomie, selbständiges Handeln z.B.: Einst ein hohes Ideal, heute eine Notwendigkeit für jeden Facharbeiter.

AoA: Fallen Ihnen noch weitere erwähnenswerte Punkte ein?

Michael Brater: Ich habe ein Bild im Kopf in Bezug auf das künstlerische Handeln. Vier Ebenen. 

Da ist die vordergründige Ebene: die Erscheinung, das was physisch da ist und die muss man bearbeiten. Der Bildhauer, der musste gezielt draufschlagen und seinen Hammerschlag unglaublich steuern können. Vor ein paar Jahren haben wir ein Projekt mit rumänischen Roma-Kindern gemacht. Die haben Linolschnitt gemacht. Die Kraft so zu dosieren, dass das eben Rillen mit einem bestimmten Ausdruck werden, ist eine rein physische Angelegenheit der geführten, beherrschten physischen, körperlichen Bewegung. 

Eine zweite Ebene hat etwas mit den Prozessen und den Abläufen zu tun. Da würde ich das künstlerische Handeln ansiedeln. 

Dann gibt es eine dritte Ebene, die hat was damit zu tun, dass Kunst Emotionen weckt, die hat also mit Empfindungen zu tun. Ein guter Roman beispielsweise, mit den Gestalten leben Sie ja eine Zeit lang. Das ist was man Empfindung oder Ausdruck nennt.

AoA: Steckt da die Kraft des Künstlers drinnen? Das was er in anderen auslöst?

Michael Brater: Das was er dem Werk mitgibt. 

Und dann gibt es die vierte Ebene. In der Schule hatten wir immer die Frage: Was will der Dichter uns damit sagen? Das ist mehr eine spirituelle Ebene, eine Sinnebene. Die Bedeutungsebene. Ich sehe mir seit vielen Jahren Ballett an und das sind Bilder die mich emotional sehr stark ansprechen. Hinter all dem gibt es noch die Ebene der Bedeutung. Das was da klar wird, was mitgeteilt wird und den Unterschied macht, ob das Ding jetzt in der Welt ist oder nicht. Das ist die Ebene die bilden und aufklären soll. Diese  Ebene haben wir bisher mit dem künstlerischen Handeln überhaupt noch nicht erfasst. Mit dem künstlerischen Handeln haben wir gerade mal die zweite Ebene. 

AoA: Wo würde sie die künstlerische Haltung in ihrem Stufenmodel ansiedeln? 

Michael Brater: Die würde ich quer durch alle Stufen sehen. Die würde ich nicht einer Stufe zuordnen.

AoA: Und geht das Herz auch quer durch alle Stufen?

Michael Brater: Für mich ist momentan das Herz auf der dritten Ebene. Kunst lebt ja auch vom Betrachter. Bockemühl hat immer wieder betont, Kunst entstehe überhaupt erst im Auge des Betrachters.

Info

Ein Beitrag von Dirk Dobiéy.
Das Interview wurde am 31.10.2014 von Dirk Dobiéy durchgeführt.
Bildquelle: Michael Brater.

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