Interview
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Benjamin Stromberg

Ich stelle mich auch selbst in den Nutzen der Kunst

Der Regisseur Benjamin Quabeck über die Kunst des Geschichtenerzählens

„Eigentlich sehe ich mich als Geschichtenerzähler“, lässt der deutsche Regisseur schon zu Anfang des Gespräches verlauten. Außer in Kinofilmen hat Quabeck seine Geschichten auch schon in Musikvideos, Fernsehserien und Hörspielen erzählt: „Das Ziel in all meinen Arbeiten war das Unbewusste des Zuschauers anzusprechen und das Publikum in der Tiefe zu erwischen; eine Geschichte zu erzählen, die noch viele Ebenen darunter trägt und den Zuschauer auch auf den unteren Ebenen noch gefangen nimmt. Ich wollte kleine psychologische Stellschrauben drehen ohne mich wie ein Puppenspieler zu fühlen. Das ist ein Fehler, den viele machen, wenn sie psychologisch erzählen wollen und meinen sie könnten den Zuschauer so leiten, als hätten sie ihn im Griff und können ihn manipulieren. Diese Illusion habe ich nicht. Nach dem Motto „Ich weiß doch genau wie ihr tickt“, darum geht es mir nicht.“

Wer sich mit Quabeck und seinem Werk auseinandersetzt, merkt schnell, dass seine Leidenschaft dem Konstruieren von Geschichten gilt und dies nicht bloß auf ein bestimmtes Genre oder Medium zugeschnitten ist. Ursprünglich wollte er Schauspieler werden, doch mit der Zeit bemerkte er, dass er sich doch eher hinter den Kulissen heimisch fühlt: „Ich wollte lieber die Fäden in der Hand halten und kontrollieren, was am Ende rauskommt.“ Dabei spielt Planung für ihn eine essentielle Rolle, ist jedoch trotzdem kein unanfechtbares Instrument: „Ich habe, sowohl was die visuelle und schauspielerische Umsetzung angeht, immer einen sehr konkreten Plan. Ich weiß genau, wie es für mich funktioniert.“ Auch wenn er schon eine ziemlich genaue Vorstellung von dem hat, was er zum Schluss erreichen will, verschließt er sich nicht vor spontanen Änderungen. Im Gegenteil, er erachtet diese als besonders wichtig, um seine Geschichten zu konstruieren. Eine besondere Rolle kommt dabei der Intuition zu: „Man darf den Plan nicht stumpf abarbeiten. Die großen Filme entstehen dann, wenn die Regisseure sich die Freiheit genommen haben etwas anders zu drehen, weil sie Ungereimtheiten bemerkt haben. Da kann das Storyboard noch so exakt sein. Irgendwas fängt an sich zu sträuben. Das passiert sowohl beim Schreiben als auch beim Drehen. Man spürt, dass etwas nicht stimmt und entweder man bringt die Kraft auf darauf zu hören, oder belässt es in guter Hoffnung beim Bestehenden. Diese Differenzierung ist das Schwierigste.“

Aus diesem Grund ist auch der Verzicht auf gewisse Elemente, von denen man sich unter Umständen nur schweren Herzens trennen kann, ein wichtiges Thema für den Künstler: „Natürlich ist es auch möglich, dass man Fehlentscheidungen trifft, oder sich an etwas Unnötiges klammert, das nicht funktioniert. Erst beim Schneiden merkt man oft, welcher Dreh einer Szene der beste war. Auch eine gewisse Wut kann im Schneideraum helfen, denn sie bewahrt vor Eitelkeit und vor Fehlern aus Faulheit. Es passiert eher im Schneideraum, dass man riskante Entscheidungen trifft, die einen selbst überraschen. Letztlich ordnet man sich etwas Größerem unter, in der Hoffnung einen Film zu machen, der bleibt.“ Diese Unterordnung ist etwas, das der Regisseur auch immer probiert kollektiv umzusetzen. Denn auch wenn er als Regisseur technisch gesehen der Chef seines Teams ist, so spielt diese Hierarchie für ihn keine wichtige Rolle: „Mein primärer Führungswert ist, dass ich das nicht auf eine eitle Art und Weise dirigiere. Alle Beteiligten sollen spüren, dass ich mich selbst auch in den Nutzen der Kunst stelle. Diese Haltung ist für viele eine Befreiung, weil sie merken, dass ich mich selbst nicht so wichtig nehme und sich somit auch selbst nicht für wichtig nehmen. Ich leiste mir nicht eine einzige Allüre.“ Trotzdem ist er alles andere als nachgiebig und hat sein Ziel stets vor Augen: „Ich bin sehr genau und konzentriert. Nach dem Dreh kann ich sehr genau benennen, was mir gefiel und was nicht. Ich kann auch mal lauter werden, wenn ich merke, dass die Dinge wegen fehlender Konzentration oder schlampiger Arbeit nicht laufen.“

Diese Mischung aus Zielstrebigkeit und Konzentration und intuitiver Flexibilität bildet sein Rezept, um aus bestehenden Strukturen auszubrechen: „Im Prinzip bewegt man sich in einem abgesteckten Feld, das man versucht weiter auszudehnen und etwas Neues zu machen. Ich muss in dem Augenblick, wo ich eine Geschichte erzähle diese Geschichte immer in ein Universum verlagern. Dieses Universum baut sich Schicht für Schicht auf. Manchmal tauscht man Elemente aus […], womit sich gleich andere Konflikte und Wege finden. Auf diese Weise kann man den Menschen Dinge zeigen, die sie nicht schon kennen.“

Das komplette Interview mit Benjamin Quabeck online lesen

Einleitung

Benjamin Quabeck wollte eigentlich Schauspieler werden und spielte an der Grundschule in Theaterstücken mit. Als er zwölf Jahre alt war, kaufte sich sein Vater eine Video-8-Kamera, die er sich immer gerne “borgte”, um damit im Keller erste kleine Splatterfilme zu drehen. Er studierte ab 1996 Regie an der Filmakademie Baden-Württemberg Ludwigsburg. Größere Aufmerksamkeit erlangte er bereits mit seinem Debütfilm Nichts bereuen, der auf seinem gleichnamigen Roman beruht. Neben seiner Tätigkeit als Film-, Fernseh- und Videoclip-Regisseur schreibt und inszeniert Quabeck Hörspiele.

Interview

AoA: Was für Kunst machst du? 

Benjamin Quabeck: Generell mache ich fast alles, was mit bewegtem Bild und Ton zu tun hat. Ursprünglich war ich auf der Filmhochschule, danach habe ich aber auch angefangen für den Hörfunk zu arbeiten. In den letzten Jahren habe ich neben Kinofilmen auch Musikvideos, Fernsehserien, Hörspiele für das Radio und ein wenig Werbung gemacht. Außerdem habe ich viel geschnitten oder auch mit befreundeten Künstlern zusammengearbeitet und die Postproduktion derer Filme übernommen. 

AoA: Welche dieser Elemente sind dir wichtig? 

Benjamin Quabeck: Eigentlich sehe ich mich als Geschichtenerzähler, egal für welches Format. Ich habe auch einen Roman und ein paar Kurzgeschichten geschrieben. Zum Filme machen bin ich gekommen, weil ich ursprünglich Schauspieler werden wollte. Ich habe früher mit Freunden Filme gedreht, die eher in Richtung Splatter und Horror gingen. Eigentlich wollte ich damals immer Darsteller sein, bin aber immer weiter hinter die Kamera gerutscht. Irgendwann wurde ich sozusagen der Chef vom Set und ich habe mich mit dem Gedanken angefreundet Regie zu führen und die einhergehende Möglichkeit Filme von A bis Z zu inszenieren.

AoA: Gibt es vom Bildnerischen oder Sound gewisse Formen, die du beschreiben könntest? 

Benjamin Quabeck: Im Prinzip bewegt man sich ja in einem bereits abgesteckten Feld, das man versucht weiter auszudehnen und etwas Neues zu machen. In meinem ersten Film „Nichts bereuen“ habe ich zum Beispiel versucht mit der Kamera auf Ebenen zu arbeiten, die normalerweise im deutschen Film eher wenig bedient werden. Mir ging es vor allem darum den Film so intensiv wie möglich zu erzählen und Kamera und Ton zu nutzen, um die Innenwelt des Protagonisten darzustellen. Die klassische Umsetzung, den Film so zu erzählen, dass ihn jeder sofort versteht, hat mich nicht interessiert. Eigentlich wurde in “Nichts bereuen” die Kamera zu einem eigenen Erzähler auf unterschiedlichen Ebenen, mithilfe von Farbkonzepten, Kamerabewegungskonzepten und so weiter. Das Ziel in all meinen Arbeiten war das Unbewusste des Zuschauers anzusprechen und das Publikum in der Tiefe zu erwischen; eine Geschichte zu erzählen, die noch viele Ebenen darunter trägt und den Zuschauer auch auf den unteren Ebenen noch gefangen nimmt. Ich wollte kleine psychologische Stellschrauben drehen ohne mich wie ein Puppenspieler zu fühlen. Das ist ein Fehler, den viele machen, wenn sie psychologisch erzählen wollen und meinen sie könnten den Zuschauer so leiten, als hätten sie ihn im Griff und können ihn manipulieren. Diese Illusion habe ich nicht. Nach dem Motto „Ich weiß doch genau wie ihr tickt“, darum geht es mir nicht. Das sind “klassische” Formen und Regeln die in den letzten Jahren entstanden sind. Die hat man sich aus dem amerikanischen Kino abgeguckt, die aber als Schablone nicht funktionieren. Ich versuche ein Wechselspiel zwischen Vorhersehbarkeit und Überraschung zu entwickeln. Das ist beim Geschichtenerzählen für mich das Maß der Dinge, wann fühlt sich das Publikum sicher mit dem was es hört und sieht? Wie kann es sich auf eine falsche Fährte locken lassen und wie reagiert es auf diese Überraschungsmomente und lässt sich durch diese beeinflussen?

AoA: Schaffen es die Kameraführung und die anderen Möglichkeiten, die dir zur Verfügung stehen, dass die Brücke zum Zuschauer verkürzt wird?

Benjamin Quabeck: Nähe zum Zuschauer bedeutet für mich nicht, dass er Zuschauer ständig nachvollziehen kann, was die Hauptfigur macht, obwohl es in der Betrachtungsweise von deutschen Redaktionen oft so gesehen wird. Es wird verlangt, dass man sich in die Hauptfigur einfühlen kann. Das sehe ich überhaupt nicht so. Für mich ist wichtig die Intensität des Erzählens zu erhöhen. Beim konkreten Beispiel “Nichts bereuen” ist der Protagonist ein Nachtmensch, der sich in der Nacht deutlich wohler fühlt als am Tag. Seit Entstehung des Farbfilms wurde der Tag immer in warmen, sonnigen Farben und die Nacht in kühlen, blauen Farben erzählt. Aber da es sich hier um einen Nachtmenschen handelte, habe ich mir gesagt, ich mache es genau anders herum. Im gesamten Film gibt es keine blaue Nacht, sondern nur warme Nächte mit orangen Tönen, wohingegen die Tage extrem kühl sind. Das bricht soweit mit den üblichen Normen des Erzählens, dass mir die Dozenten an meiner Hochschule stark davon abgeraten haben: Die Nacht müsse blau sein, damit der Zuschauer versteht, dass gerade Nacht ist. Das hat mich aber überhaupt nicht interessiert und ich habe mein Ding durchgezogen. Für mich funktioniert dieses Element und es erzählt auf einer Ebene, die man konkret gar nicht benennen könnte, wenn man nicht wüsste, welches Stilmittel verwendet worden ist.

AoA: Wie bist du Künstler geworden? 

Benjamin Quabeck: Mit sieben Jahren habe ich angefangen meine ersten Zaubervorstellungen zu Hause zu geben. Das hat nicht so geklappt, deshalb habe ich später angefangen Geisterbahnen zu bauen. Ich wollte etwas schaffen, das ich besser unter Kontrolle hatte, es kamen Fäden und kleine elektrische Lämpchen zum Einsatz. Anschließend habe ich meine Eltern oder Freunde durchgeschickt. Sie mussten dann durch den Keller, oder mein Zimmer und den Flur, durch diverse Stationen. Da hat auch nicht immer alles geklappt. Es hat mir großen Spaß gemacht Leute in Angst und Schrecken zu versetzen oder zu faszinieren. Ich selbst hatte damals eine Menge Angst vor vielem. Bis ich 15 Jahre alt war, war ich sehr klein und habe mir damals schon viele Gedanken über alles Mögliche gemacht. Ich war ein kleiner Außenseiter.  Als ich 12 Jahre alt war, hat sich mein Vater eine Sony Video 8 Kamera gekauft. Das war das erste Mal, dass man im Consumer-Bereich  Videos drehen konnte. Die Kamera habe ich mir ganz schnell unter den Nagel gerissen. Erst mal habe ich mich wieder mehr auf das Gruselige konzentriert und zunächst Remakes gedreht, z.B. Ghostbusters mit Freunden im Keller. Mit der Zeit kamen immer mehr Splatter-Elemente hinzu, ich habe literweise Kunstblut gemischt. Ich war aber auch schon immer technisch interessiert, an Kameraeffekten und (computergenerierten) Visual Effects. Anfangs bin ich immer als Schauspieler aufgetreten, doch mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich lieber die Fäden in der Hand halten und kontrollieren will, was am Ende rauskommt. Mir war da zu wenig Disziplin bei meinen Freunden, die das mehr als Spaß gesehen haben. Ich hingegen wollte, dass da etwas rauskommt, was perfekt ist. Als ich 18 war, habe ich Zivildienst gemacht und habe mein gesamtes Zivi-gehalt gespart, das waren vielleicht 10.000 Mark. Ich habe mir davon einen Computer gekauft, mit dem man Filme schneiden konnte. In der Zwischenzeit hatte ich mich darauf verlagert alleine zu arbeiten und habe Stop Trick Animation gemacht. Ich habe dabei versucht möglichst viele Effekte einzubauen, 3D Grafiken entwickelt und vieles technisch ausprobiert. Damit habe ich meinen Bewerbungsfilm gedreht und mich für die Filmakademie Baden-Württemberg beworben. Mit 19 Jahren bin ich auf die Filmakademie gekommen und war damals dort der Jüngste, den sie je genommen hatten. Die waren wirklich irritiert von dem, was ich in meinem Keller alleine ausgebrütet hatte. Das war ein vierminütiger Animationsfilm, für den ich mir diverse technische Dinge ausgedacht hatte, unter anderem einen eigens gebauten Kamerakran, der durch das aufgebaute Set fuhr. So etwas hatten die bis dahin wohl noch nicht gesehen.

AoA: Wann war der Punkt der Entscheidung auf eine solche Hochschule zu gehen? 

Benjamin Quabeck: In meinem Fall war es wie ein roter Faden, der sich bis zum Ende meines Studiums und bis zu meinem zweiten Kinofilm durchgezogen hat. Erst dann kommt mein Knick. Dadurch, dass ich so jung angefangen habe, war ich mit 24 Jahren auch schon wieder fertig. In meinem Studium habe ich mich ständig über alle Grenzen hinweg gesetzt. Für meinen Zweitjahresfilm habe ich das Budget um das Zehnfache überzogen. Bei meinem Abschlussfilm habe ich mich gegen den üblichen Kurzfilm entschieden, weil ich danach Spielfilme machen wollte. Das war von der Hochschule gar nicht erwünscht. Deshalb habe ich mich auf eigene Faust mit meinen Produzenten an den WDR gewandt und dort gab man uns die Möglichkeit einen Spielfilm zu machen. Zunächst hat sich der Hochschuldirektor stark dagegen gesträubt, nicht zuletzt, weil die Hochschule üblicherweise mit dem SWR kooperierte. Doch als der WDR sich wirklich interessiert zeigte und Geld zur Verfügung stellte, hat er locker gelassen. So kam es schließlich zu meinem ersten Film „Nichts bereuen“, der auch in den Kinos ein Erfolg war. Auf der Erfolgswelle des Films habe ich dann direkt meinen zweiten Film “Verschwende deine Jugend” gedreht, den ich als meine erste professionelle Arbeit bezeichnen würde.  

AoA: Wie viel Budget hattest du von der Hochschule für den erwähnten Zweitjahresfilm? 

Benjamin Quabeck: Ich hatte 2.800 Mark Budget von der Hochschule und der Film hat letztlich 25.000 Mark gekostet. Ich hatte relativ viel Glück, weil ich mit einem Film aus dem ersten Jahr unter anderem 10.000 Mark Preisgeld gewonnen hatte. Dieses Geld habe ich dann wiederverwendet. 5.000 Mark habe ich mir von meinen Eltern geliehen und der Rest war angespart.

AoA: Hast du damals fest an den Erfolg geglaubt, denn das war ja schon ein Risiko? 

Benjamin Quabeck: Die Frage nach dem Risiko hat sich mir nie wirklich gestellt, denn wenn ich mit einem Film angefangen hatte, dann musste ich ihn auch zu Ende bringen. Das war ein wahnwitziges Projekt. Wir haben damals noch auf 16mm Film gedreht und sind nach Duisburg in ein unter Wasser stehendes Hüttenwerk gefahren. In den Gängen und Kanälen haben wir auch wieder so eine Art Horrorfilm gedreht, innerhalb von fünf Tagen, 18-20 Stunden pro Tag. Mir war aber klar, dass ich diese Geschichte erzählen musste, denn sie war in meinem Kopf und als Drehbuch verfasst. Es gab kein Zurück mehr. Mir war immer klar, dass es der größte Film werden würde, der jemals gemacht wurde. Mit diesem Ansatz fiel es mir leicht. Ist es natürlich nicht geworden, aber mich persönlich hat der Film weiter gebracht. Ich hab damals vieles aus einem vielleicht naiven Enthusiasmus geschaffen. Im Vergleich zu meinen älteren Kommilitonen  hatte ich manchmal schon 3 verschiedene Wege des Umsetzens ausprobiert, bevor die sich für 1 entschieden hatten. Ich war vielleicht ein bisschen lockerer, weil ich wusste, ich bin jung und mir stehen noch alle Wege offen.  

AoA: Später kam der Knick? 

Benjamin Quabeck: Direkt im Anschluss an das Hochschulstudium habe ich meinen zweiten Film „Verschwende deine Jugend“ gedreht, mit einer Produktionsfirma in München; eine tolle Produktionsfirma, ich war denen sehr dankbar, dass sie mir die Chance gegeben haben diesen Film zu machen. Im Nachhinein war es für mich aber nicht ganz das Richtige eine Auftragsarbeit gleich im Anschluss an das Studium umzusetzen. Ich hätte mich besser erst einmal ein Jahr zurückgezogen um zu überlegen, was ich selber erzählen möchte. Da wäre vielleicht etwas mit mehr Herzblut bei rausgekommen. Ich bin mit dem Film zwar zufrieden, aber ich wollte damals eigentlich vor allem  zeigen, dass ich in der Lage bin eine Auftragsarbeit in einem gewissen Zeitrahmen und Budget umzusetzen. Das hat auch geklappt. Was allerdings nicht gepasst hat, waren die Kinozahlen. Der Film war ohne Hilfe vom Fernsehen finanziert, was in Deutschland eher eine Ausnahme ist. Auf diese Weise sichern sich die Sender oft die Rechte im Vorfeld. Der Film hat 4,2 Millionen Euro gekostet, was 2002 sehr viel Geld war. Ich hatte damals das Ziel einen kommerziell erfolgreichen Film zu machen und dieses Ziel hatte ich nicht erreicht. Das hat sich schlecht angefühlt, weil ich dachte, ich hätte meine Zeit und Kraft besser nutzen können. Wenn man einen Film fürs Kino, für das große Publikum macht, dann entscheidet man manche Sachen anders als für einen, der in einem ganz kleinen, behüteten Rahmen entsteht, in dem man sich frei entfalten kann.

AoA: Wie siehst du diesen Misserfolg heute? 

Benjamin Quabeck: Heute weiß ich, dass ich mir das nicht so zu Herzen hätte nehmen dürfen. In diesem Punkt hat Deutschland auch wieder so eine spezielle Außenseiterposition bei der Filmproduktion: Es gibt so viele Filmförderungsprogramme, die nicht erfolgreich sind und trotzdem bekommen die gleichen Leute wieder eine Chance einen Film zu machen. Ich habe damals gedacht, dass ich nicht für den Rest meines Lebens subventionierte Kinofilme drehen will, die anschließend keiner guckt. Das ist nicht mein Ziel gewesen, dafür bin ich nicht angetreten. Ich wollte ein Publikum begeistern. Das war ein Punkt und der andere war, dass ich fünf Jahre am Stück durchgearbeitet hatte. Im Schnitt braucht man gut zwei Jahre für einen Film und meine Reserven waren nach den zwei Filmen und diversen kleineren Projekten nebenher einfach verbraucht. Ich wollte damals vorerst gar nichts mehr damit zu tun haben. Ich wollte was anderes machen, weg von dem Medium Kino. Es kam damals ein Freund zu mir, mein Filmkomponist. Er hatte für den WDR ein Hörspiel geschrieben, war aber mit der Umsetzung sehr unzufrieden. Deshalb hat er mich gefragt, ob wir nicht mal zusammen ein Hörspiel schreiben wollen, ich sollte Regie führen. Ich wollte das gerne probieren und habe eingewilligt. Das war ein guter Zeitpunkt, denn wenn ich damals an Film gedacht habe, ist mir schlecht geworden. Auch nicht zuletzt deshalb, weil man in Deutschland in gewisser Hinsicht limitiert ist. Ich kann nicht jede Geschichte erzählen, die ich erzählen möchte, denn ich habe nur gewisse Budgets und es gibt sehr viele gegensätzliche Interessen, die zu berücksichtigen sind. Ein unentwirrbar scheinendes Knäuel, auf das ich mich erst mal nicht mehr einlassen wollte. Deshalb war das mit dem Hörspiel ein toller Neustart. Der WDR hat uns direkt einen Dreiteiler ermöglicht, den wir sehr aufwendig umgesetzt haben. Im Nachhinein finde ich es erstaunlich, dass sie einem Neuling so etwas ermöglicht haben. Seitdem habe ich regelmäßig für den WDR Produktionen gemacht, die ich selbst geschrieben und inszeniert habe.

AoA: Damit bist du auch Autor. Ist es notwendig, dass du die Geschichte selbst erzählst, sodass die Arbeit gut wird? Vielleicht hat es deshalb auch bei dem einen Mal nicht geklappt, weil du die Geschichte nicht selbst erzählt hast?

Benjamin Quabeck: Da ist unter Umständen was dran. In dieser Sache hatte ich beim Drehbuch eher eine Beraterfunktion. Das ist in der Tat etwas, das ich daraus gelernt habe: Wenn ich schon so viel Zeit und Willenskraft investiere, dann muss man sich auch inhaltlich über viele Grenzen hinwegsetzen.

AoA: Wie würdest du deine Haltung als Künstler beschreiben? 

Benjamin Quabeck: Ich würde mich als sehr eigenständig bezeichnen, in dem was und wie ich etwas erzählen möchte. Ich glaube, dass die Geschichten auf der Straße liegen und man sich jede Geschichte einfach schnappen kann – es kommt bloß darauf an wie man sie erzählt. Wer oder was ist meine Hauptfigur, wie steht diese zu Ihrem Umfeld und wie erzähle ich es. Bei “Nichts bereuen” war es auch ein Punkt, dass manche im Vorfeld das Drehbuch gelesen haben und sagten, es handele sich ja bloß um eine Geschichte des Erwachsenwerdens und dies sei nichts Besonderes. Dies dann aber so speziell und in sich stimmig zu erzählen, ist für mich die Kunst dabei. Manche Produzenten sehen das anders, vielleicht aus einer Eitelkeit heraus. Bei mir geht das auf meine eigene Leidenschaft zurück. Ich weiß wie sehr mich Filme gerade im Alter zwischen 10 und 20 Jahren beeindruckt haben. Da sind viele Sachen stark haften geblieben, Dinge die mir im Leben geholfen haben und durch die ich viele Sachen aus einer anderen Perspektive sehen konnte. Ein Film, der mich sehr berührt hat, ist Blue Velvet von David Lynch. Er schafft es ein skurriles, morbides Märchen zu erzählen, das gleichzeitig sehr persönlich und geheimnisvoll ist. Generell waren es vor allem Filme von David Lynch, bei denen ich ein Schaudern auf dem Rücken gefühlt habe. Ich habe meine Lieblingsfilme äußerst gebannt gesehen und wollte nicht, dass irgendjemand mich dabei stört. Es war mir schon sehr heilig. So etwas vergeht über die Jahre und es fällt gar nicht so leicht, dieses Phänomen für sich wieder zu finden: Sich von etwas beeindrucken zu lassen und daraus die Motivation zu schöpfen, es selber zu tun. 

AoA: Hast du den Anspruch gesellschaftlich, politisch relevant zu sein? 

Benjamin Quabeck: Ja. Ich habe stets auch einen kleinen erzieherischen Auftrag verspürt. Das im Kleinen Politische, das Familiäre, wie Menschen miteinander umgehen, interessiert mich sehr. Ich habe versucht das bei allen Filmen als Ebene immer mitlaufen zu lassen. Seit mehreren Jahren habe ich ein Drehbuch in der Finanzierungsphase, bei dem es schwer voran geht. Es ist die Geschichte von einem jungen Familienvater, der eigentlich alles hat um glücklich zu sein. Er hat eine tolle Frau, ein drei Jahre altes Kind. Er selbst ist Koch und sehr erfolgreich mit einem vegetarischen Restaurant in Berlin. Aber er fühlt sich innerlich einfach leer und versteht nicht, warum er nicht glücklich ist. Als er eines Abends aus seinem Alltag ausbricht und richtig feiern geht, weiß er am nächsten Morgen nicht mehr wo er war. Er hatte alles Mögliche konsumiert und zu Hause angekommen, stellt er fest, dass seine Jacke und sein Schlüssel weg sind. Er verdrängt das erst mal und geht arbeiten. Am nächsten Abend stehen drei fremde Typen bei ihm in der Bude, nehmen alles auseinander und nehmen alles mit, was ihnen gefällt. Von diesem Ereignis wird er total aus der Bahn geworfen und fängt an sich ein Parallelleben zuzulegen. Auf einer Ebene läuft das Familienleben weiter und gleichzeitig fängt er an diese Typen zu suchen. Er landet auf der Straße, prügelt sich mit Leuten und stellt sich all seinen charakterlichen Seiten, die er zuvor immer verdrängt hat. Dieser Stoff tut sich unheimlich schwer, kaum eine Förderung wollte bisher Geld zuschießen, weil es viel einfacher ist, wenn man eine Geschichte dramaturgisch klarer benennen kann, wie eine Komödie von einem Krebskranken, der noch einmal das Meer sehen will. Aber das hier kann man sehr schwer einschätzen, weil die Hauptfigur selbst nicht weiß, was sie da spürt und warum sie sich schlecht verhält. Das ist aber auch für mich das Politische daran: Sich diesen Gefühlen zu stellen, denn so sind wir Menschen nun mal und das wollen wir erzählen. 

AoA: Wie kommst du zu deinen Ideen, den Anfängen deiner Geschichten, wie schreibst du die und wie läuft das bis hin zur Produktion? 

Benjamin Quabeck: Ich muss sagen, dass das von Projekt zu Projekt sehr unterschiedlich ist. Die Ideen kommen oft zu einem selber. Manchmal weiß ich gar nicht genau woher die kommen. Plötzlich hat man ein Bild, ein Gefühl, eine Figur und man spürt, da ist was und geht dem weiter nach und fängt an darum etwas zu bauen. Beim Hörspielprojekt einer Serie, die ich gerade schreibe, bin ich beim dritten Teil und das ganze spielt im Ruhrgebiet. Es geht um Jugendliche, die polizeilich erfasste Intensivtäter sind und die man bei ihren harten Abenteuern begleitet. Gleichzeitig sind das Menschen, die auch ein Herz und Gefühle haben. Aus der Innensicht heraus erzählt, ist vieles anders als das, was man in der Außenperspektive wahrnimmt. Auf diese Geschichte bin ich durch einen Zeitungsartikel gekommen: Konkret ging es um Jugendliche, die Einkaufswagen aus dem 18. Stock eines Hochhauses werfen und des versuchten Mordes angeklagt werden. Ich habe angefangen solche Geschichten zu recherchieren und habe mich inspirieren lassen. Das war eine Idee, die einfach so aus dem wahren Leben kam. Im ersten Teil ist es so, dass sie einen alten Mann in seiner Wohnung überfallen und ihn erpressen wollen. Der ist allerdings ziemlich clever und weiß sich zu helfen. Aufgrund eines Unwetters müssen alle drei eine Nacht in der Wohnung verbringen und der alte Mann schafft es die beiden Brüder gegeneinander auszuspielen. Dieses Brüderverhältnis ändert sich dann in den weiteren Folgen zunehmend. 

AoA: Es gibt also eine initiale Idee zu der sich Fragen entwickeln, die dann zu beantworten sind? 

Benjamin Quabeck: Ja, ich muss in dem Augenblick, in dem ich eine Geschichte erzähle diese Geschichte immer in ein Universum verlagern. Dieses Universum baut sich Schicht für Schicht auf. Manchmal tauscht man Elemente aus, z.B. den Mann mit einer alkoholkranken Frau, womit sich gleich andere Konflikte und Wege ergeben. Auf diese Weise kann man den Menschen Dinge erzählen, die sie nicht schon kennen.

AoA: Wie kann ich mir das zeitlich und von der Tätigkeit vorstellen. Du hast die Idee und wie geht es dann weiter? 

Benjamin Quabeck: In dem Fall war es letztlich so, dass ich bei der Filmstiftung Nordrhein-Westfalen etwas einreichen wollte, für ein Hörspielstipendium um ein Buch schreiben zu können. Ich hatte den Artikel von dem Einkaufswagen vier Wochen davor gelesen und der spukte immer noch in meinem Kopf herum. Als der Einreichungstermin näher kam habe ich mir einen Tag Zeit genommen und in Ruhe ein Exposé ausgearbeitet und denen geschickt. Als sie sagten, dass sie mir dafür Geld geben, habe ich mich hingesetzt und weitergemacht. Ich bin nicht ganz stringent in der Arbeitsweise, also baue mir nicht immer gleich eine Struktur mit Exposé und Treatment. So etwas mache ich parallel und oft fange ich an schon vorher an Szenen zu schreiben weil mich der Moment an sich interessiert. Ich nähere mich der Geschichte so von mehreren Seiten gleichzeitig. Vieles schmeißt man später auch weg und andere Sachen kommen immer wieder.

AoA: Muss man, was man einreicht, auch voll liefern, oder kann man noch etwas verändern? 

Benjamin Quabeck: Das  geht schon. Das kann man der Förderung gegenüber argumentieren. Es kann auf jeden Fall passieren, dass die Geschichte später einen anderen Verlauf nimmt.  

AoA: Würdest du ein Exposé oder Treatment brauchen, wenn du keine Förderung benötigst? 

Benjamin Quabeck: Ja. Das bräuchte ich als ersten Anhaltspunkt um mir selbst klarer zu werden, nachdem das erste Gefühl da ist. Das geht bei mir meistens über die Person, es gibt dann eine Figur oder eine Konstellation von zwei Figuren die mich so interessiert, dass ich dort den Schwerpunkt setze. An dieser Stelle ein Exposé zu schreiben, um das zu fokussieren, halte ich für sehr wichtig.

AoA: Wie geht es dann weiter? 

Benjamin Quabeck: Dann schreibe ich eine Menge Szenen. Das fällt mir in der Regel relativ leicht, weil es sehr konkret ist und man beim Schreiben quasi die Sprache der Figuren spricht. Es gibt Drehbuchprogramme wie Final Draft. Damit arbeite ich sehr gerne. Da gibt es verschiedene Kürzel, das Programm merkt sich bei Dialogen die Personen und schlägt mir automatisch den anderen Charakter vor und dann kann man das sehr flüssig niederschreiben. Die Szenen werden dann erst im zweiten oder dritten Durchgang richtig gut. Man hat da ein, zwei Ideen und die lässt man einfließen und merkt erst beim Korrekturlesen wieviel Verknüpfungsmöglichkeiten man hat und wie dichter man es noch bauen könnte. 

AoA: Wie ist das mit dem Spruch: Kill your darlings? Ist das so eine Qual wie man es sich vorstellt? 

Benjamin Quabeck: Das ist der Punkt mit den dramaturgischen Stellschrauben, an denen man hängt und versucht ist eine starke Einflussnahme auszuüben. Wenn man das nicht so richtig in die Geschichte einfügen kann und das Buch daran immer wieder scheitert, weil man immer wieder zu dem Punkt hin will, der einfach nicht funktioniert. Mit der Zeit wird dann klar, dass man bestimmte Dinge einfach streichen muss. Wenn ich dann einmal so weit bin, fällt mir das auch relativ leicht. Das war bei “Nichts bereuen” auch eine ganz gute Schule, einfach den eigenen Roman zu nehmen und ein Drehbuch daraus zu machen. Dabei ist bestimmt die Hälfte weggefallen, von dem, was mir beim Roman wichtig war. Beim Drehbuch schreiben habe ich dann aber an nichts gehangen. Dementsprechend ist auch eine Menge Neues hinzugekommen.

AoA: Wie viele Leute arbeiten bei der Produktion an einem Hörbuch (Achtung: Hörspiel!) mit? 

Benjamin Quabeck: Ich führe Regie und das Buch schreibe ich nicht immer alleine, sondern oft mit einem Co-Autoren. In der Produktion selber ist das meistens ein Cast von drei bis vier Hauptrollen und fünf bis sechs Nebenrollen und sechs bis sieben ganz kleine Parts und Statisten. Es gibt einen Cheftontechniker, seinen Assistenten und eine Regieassistentin. 

AoA: Die Sprecher sind nicht immer alle am Set. Gibt es da einen Plan? 

Benjamin Quabeck: Ich arbeite fast gar nicht mit reinen Hörspielsprechern, sondern ich versuche immer mit Schauspielern zu arbeiten. Beim letzten Hörspiel haben z.B. Daniel Brühl und Denis Moschitto die Hauptrollen gesprochen. Ich versuche dann möglichst viele Szenen mit allen zu machen und lasse sie dann lieber mal einen Tag mehr kommen, was vom WDR nicht so gern gesehen wird, aber letztendlich wissen sie auch, dass es dann besser wird. Ich spiele auch alle Szenen im Raum. Die Hörspielstudios können sehr klein sein, aber ich buche mir die großen Räume, in denen man die ganzen Sets nachbauen kann. Wenn es sich um eine Küche handelt, dann bauen wir da spezielle Trennwände rein damit man so einen Küchensound bekommt, wenn es draußen spielt, geht man in einen schalltoten Raum.

AoA: Wie stark ist noch eine Veränderung des Drehbuchs durch die Schauspieler möglich? 

Benjamin Quabeck: Bei den Hörbüchern sind die Veränderungen relativ gering, vielleicht wird mal was sprachlich angepasst, aber ich versuche schon beim Schreiben die Sachen immer laut mit zu sprechen, um zu testen, ob es so geht oder nicht. Letztlich habe ich auch den Anspruch, dass die Figuren ihre eigene Sprache haben und deswegen haben sie schon eine Art inneres System. Ich weiß daher schon beim Schreiben oder spätestens beim Inszenieren, wie es klingen muss. Manchmal bin ich dann auch sehr genau und erwarte, dass es dann genauso umgesetzt wird. Manchmal kommt man in Situationen, wo es dann nicht funktioniert, dann verändere ich noch was. Aber bei den Hörspielen ist die knappe Zeit auch oft ein Faktor, der aufwändige Improvisationen nicht zulässt. Beim Film ist das anders, da habe ich mir vorher sehr viel Zeit genommen und mit den Schauspielern die Szenen vor den eigentlichen Dreharbeiten schon reichlich geprobt. In diesen Proben haben wir dann wieder gemeinsam Sachen entwickelt, die dann ins Buch übernommen wurden.  

AoA: Es ist also kein Problem für dich noch Änderungen vorzunehmen? 

Benjamin Quabeck: Ich habe, sowohl was die visuelle und schauspielerische Umsetzung angeht, immer einen sehr konkreten Plan. Ich weiß genau, wie es für mich funktioniert. Das ist für mich auch die beste Ausgangssituation, um offen zu sein für alle Veränderungen, die möglich und sinnvoll sind.

AoA: Du bist also nicht renitent? (Verstehe die Frage in diesem Zusammenhang nicht (und meine Antwort auch nicht) vielleicht können wir da nochmal drüber sprechen, Dirk?

Nein, auf keinen Fall renitent, aber wenn mir die Idee nicht gefällt, wird sie auch nicht zugelassen.  

AoA: Bei dir sind das ja zwei Rollen: Als Autor, der alleine schreibt und als Regisseur, der mit anderen Menschen zusammenarbeitet. Das ist eine Führungsaufgabe und beschreibe bitte deinen Führungsstil, auch als du noch sehr jung warst.

Benjamin Quabeck: Mein primärer Führungswert ist, dass ich das nicht auf eine eitle Art und Weise dirigiere. Alle Beteiligten sollen spüren, dass ich mich selber auch in den Nutzen der Kunst stelle. Diese Haltung ist für viele eine Befreiung, weil sie merken, dass ich mich selbst nicht so wichtig nehme und sich somit auch selbst nicht für wichtig nehmen. Ich leiste mir keine Allüren. Es gibt auch Regisseure, die erst mal zeigen müssen, dass sie sich für die wichtigsten Menschen am Set halten. Deswegen habe ich bis auf wenige Ausnahmen auch immer das Glück, dass die Schauspieler das sofort merken und wir konstruktiv zusammenarbeiten.

AoA: Was sind die Ausnahmen? 

Benjamin Quabeck: Ich habe mal mit einer Schauspielerin zusammen gearbeitet, mit der ich einfach nicht auf einen Nenner gekommen bin; weder auf eine ernsthafte noch auf eine spaßhafte Weise.

Das war eine Konstellation, die von Anfang bis Ende nicht funktioniert hat. Das lag auch daran, dass sie der Aufgabe nicht gewachsen war. Es fällt mir schwer darüber zu sprechen. Es handelte sich um eine Auftragsarbeit für das Fernsehen. Der Haken war, dass wir mit ganz anderen Erwartungen angefangen haben. Die Ansage war, dass wir versuchen würden mal was ganz Neues zu machen. Dann wurden wir am Set doch mit der banalen Serienrealität konfrontiert. Da gab es keinen Platz mehr für Improvisation. Es war schlicht Fließbandarbeit, die aber vorher explizit als etwas Besonderes und Künstlerisches umworben wurde.

AoA. War da auch enttäuschte Erwartung dabei? 

Benjamin Quabeck: Ich spürte einen gewissen Druck, weil viele dabei waren, die zusagten, weil ich die Regie übernahm. Unter anderem hatte ich Freunde und Bekannte, die im technischen Team mitarbeiteten. Als ich gemerkt habe, dass ich verarscht worden bin, musste ich natürlich für alle einstehen.

AoA: Konntest du da nicht mehr so locker sein? 

Benjamin Quabeck: Ich habe versucht mir das nicht anmerken zu lassen und habe ab und zu einfach auf Stur geschaltet. Von der Produktion habe ich mich nicht beeindrucken lassen, wenn die mal wieder wegen Überstunden gemeckert haben. Ich dachte mir, dass es irgendeinen Kompromiss geben müsse, der sowohl meinen Ansprüchen, als auch denen der Produktion genügt. Diesen Weg habe ich dann letztlich auch gefunden, aber die Probleme mit der Darstellerin lösten sich bis zum Ende nicht auf. Sie hat sich schnell zurückgezogen. Und ich hatte nicht den Nerv, jemanden zu verhätscheln, der sich verweigert.

AoA: Gibt es neben dem Unprätentiösen noch einen Führungswert? 

Benjamin Quabeck: Ich bin sehr genau und konzentriert. Nach dem Dreh kann ich sehr genau benennen, was mir gefiel und was nicht. Ich kann auch mal lauter werden, wenn ich merke, dass die Dinge wegen fehlender Konzentration oder schlampiger Arbeit nicht laufen. Es gibt sowohl Darsteller, die an der Kritik wachsen, als auch welche, die überhaupt nicht damit umgehen können. Meistens merkt man schon am zweiten Drehtag wie die Leute ticken und mit der Zeit entwickelt sich dann ein Gespür für den richtigen Umgang.

AoA: Noch mal zurück zu deinem ersten Film und deinem Führungsstil und heute, hat sich da was geändert? 

Benjamin Quabeck: Eigentlich nicht, weil ich von Anfang an wusste, was ich will und mir wurde in dieser Hinsicht damals vertraut. Es ist wichtig eine Vertrauensbasis aufzubauen, sodass die anderen merken, dass hier nicht jemand sitzt, der bloß zufällig in die Position gekommen ist, sondern weiß er was tut. Dazu ist es wichtig präzise zu arbeiten, auf das Team einzugehen und ihre Arbeit anzuerkennen.

AoA: Ist es sehr persönlich, familiär? Seid ihr wie eine Familie am Set? 

Benjamin Quabeck: An dieser Stelle ist der Regisseur mal wieder eine Ausnahmeposition. Beziehungen unter Teammitgliedern erfährt der Regisseur immer als Letzter. Dafür ist der Regisseur zu sehr mit seiner eigenen Arbeit beschäftigt, als dass er sich familiär verankern könnte. Die Schauspieler und anderen Teammitglieder sind da schon eher eine Familie, gerade bei Serienproduktionen. Nachtdrehs oder Wochenenddrehs können sehr zusammenschweißen. Allerdings können auch Lagerbildungen entstehen.

AoA: Wenn die Szenen im Kasten sind, wie geht es dann weiter? 

Benjamin Quabeck: Das hängt vom Film ab. Bei einem Dokumentarfilm entsteht erst alles richtig im Schneideraum. Bei “Nichts bereuen” habe ich genauso gedreht, wie er geschrieben war. Da hatte ich wenig Zeit, Material und Optionen gehabt, was eigentlich total fahrlässig ist. Aber ich bin mit meinem Plan in den Schneideraum gegangen und habe den gut umsetzen können. Es ist bei jedem Film immer wieder so, als mache man es zum ersten Mal. 

AoA: Das hört sich nach einem dreistufigen Experimentierprozess an, beim Schreiben, dann am Set und im Schneideraum. Nimmst du die Phasen in Abgrenzung oder als Einheit wahr? 

Benjamin Quabeck: Was ich am schwierigsten finde, ist sich bei jeder Phase wieder neu zu sammeln und mit frischem Geist darüber nachzudenken. Es ist dann möglich, wenn man sich selbst dabei vernachlässigt. Im Schneideraum denke ich nicht darüber nach, wie anstrengend die Szene war. Wenn die Szene im Schneideraum immer noch nicht passt, muss sie eben raus. Das sind so Momente, in denen man merkt, worum es eigentlich geht. Es bereitet mir auch Spaß wie ein Metzger etwas auseinander zu hacken und anschließend etwas Neues daraus zu bauen. Das hat was Spielerisches. Es gibt nichts Tristeres als etwas abzuarbeiten, was als Plan schon komplett war und es wird auch nicht gut. Meine Erfahrung ist, dass das Endergebnis langweilig ist, wenn ich alles bloß nach Plan mache.

AoA: Das bedeutet, dass es nicht gut ist nur nach Plan zu arbeiten? 

Benjamin Quabeck: Man darf den Plan nicht stumpf abarbeiten. Die großen Filme entstehen dann, wenn die Regisseure sich die Freiheit genommen haben etwas anders zu drehen, weil z.B. etwas in sich nicht stimmte. Da kann das Storyboard noch so exakt sein.

AoA: Ist das Intuition, das nicht zusammen passen? 

Benjamin Quabeck: Ja, irgendwas fängt an sich zu sträuben. Das passiert sowohl beim Schreiben als auch beim Drehen. Man spürt, dass etwas nicht stimmt und entweder man bringt die Kraft auf darauf zu hören, oder belässt es in guter Hoffnung beim Bestehenden, denn man kann nicht alles perfekt machen. Diese Differenzierung ist das Schwierigste.

AoA: Was für Emotionen stellst du in deiner Arbeit fest?  

Benjamin Quabeck: Am Set ist die grundlegende Emotion komplette Erschöpfung. Man arbeitet 18 Stunden am Tag, auch in der Vorbereitung, und hat schon keine Kraft mehr, wenn man am ersten Drehtag in den Dreh geht. Diese Erschöpfung ist ein Grundzustand, der aber auch Kraft geben kann. Er kann es ermöglichen leichter Entscheidungen zu treffen. Die Erschöpfung intensiviert außerdem die emotionale Komponente in den Entscheidungsprozessen. Morgens fängt man meist noch rationaler an, doch man steuert auf diese emotionalen Momente zu. Natürlich ist es auch möglich, dass man Fehlentscheidungen trifft, oder sich aus Müdigkeit an etwas Unnötiges klammert, das nicht funktioniert. Erst beim Schneiden merkt man oft, welcher Take einer Szene der Beste war. Auch eine gewisse Wut kann im Schneideraum helfen, denn sie bewahrt vor Eitelkeit und vor Fehlern aus Faulheit. Es passiert dann eher im Schneideraum, dass man riskante Entscheidungen trifft, die einen selbst überraschen.

AoA: Transzendenz, ist das etwas, das du kennst? 

Benjamin Quabeck: Der Begriff Transzendenz wird in allen möglichen Zusammenhängen benutzt, mit denen ich nicht so viel anfangen kann. Letztlich ordnet man sich etwas Größerem unter, in der Hoffnung einen Film zu machen, der bleibt.

AoA: Einen Fußabdruck hinterlassen?

Benjamin Quabeck: Ja, wahrscheinlich schon. Das geht aber mit einer gewissen Dynamik einher. Früher habe ich gedacht, ich will berühmt werden. Aber es kommen ganz viele andere Komponenten hinzu und dadurch ist es mir heute gar nicht mehr wichtig. Wenn man berühmt ist, fallen allerdings gewisse Dinge leichter, wie zum Beispiel die Finanzierung eines Films. Ich glaube, weil ich so früh angefangen habe, ist das auch ein Grund dafür, dass ich mich dagegen gewehrt habe. Es wäre damals leicht für mich gewesen, sich in das System der deutschen Filmförderung einzupassen und mich dort zu positionieren.

AoA: Dieses Verneinen Filme zu machen die nicht deinem Anspruch entsprechen. Spiegelt das auch deine Haltung wieder?

Benjamin Quabeck: Das Gute war, dass ich nach “Verschwende deine Jugend”, ziemlich schnell Vater geworden bin. Damals bin ich mit meiner ebenfalls jungen Frau nach Berlin gegangen und wir mussten uns unser Leben hier aufbauen. Ich war in den letzten zehn Jahren gezwungen Geld zu verdienen. Ich musste gezwungenermaßen auch andere Dinge machen und konnte mich nicht bloß auf meine Filme fixieren. Das hat mit geholfen mich so breit aufzustellen, dass ich in vielen Bereichen tätig bin und mir irgendwann eine solche Position leisten konnte. Im Moment bin ich eher wieder am Kino interessiert und habe den Anspruch meinen dritten Kinofilm zu drehen. Aber die Hürden sind heute viel höher geworden, es ist schwer nach einer längeren Zeit wieder Fuß zu fassen. Das ist auch in Deutschland speziell, denn in den USA werden Comebacks noch richtig gefeiert. 

AoA: Gibt es etwas, das für unser Projekt spannend ist? Etwas, nachdem ich bisher noch nicht gefragt habe?

Benjamin Quabeck: Im Vorfeld habe ich darüber nachgedacht wie sich die Bedingungen für Filmemacher in den letzten Jahren verändert haben. Mir fällt auf, dass immer mehr Verantwortung und Risiko auf die Kreativen abgewälzt werden. Das Drehbuch muss geschrieben werden und die Vereinbarung lautet mittlerweile standardmäßig, dass die erste Hälfte des Geldes im Voraus gezahlt wird und die andere Hälfte erst, wenn der Film gedreht wird. Das heißt im ungünstigen Fall bekommt man nur die Hälfte des Geldes für sehr viel Arbeit..

Es werden auch viel mehr Regisseure ausgebildet und es stellt sich die Frage, wer sie beschäftigen soll. Viele geben nach ein paar Jahren auf und machen etwas ganz anderes. Es gibt sehr viele Stellen, an dem dieses System in Deutschland krankt. Durch die Möglichkeiten des Internet wird versucht die Downloadrechte von den Öffentlich-Rechtlichen zu pauschalisieren und keine Downloadgebühren mehr zu zahlen. Das ist sehr fahrlässig wie die Politik mit dem Urheberrecht umgeht, also dem Recht der eigenen Idee. Insofern entsteht vieles aus der Not heraus. Crowdfunding ist auch ein Versuch aus diesem System auszubrechen. Wir suchen Leute, die unsere Ideen verstehen und bereit sind dafür zu investieren. Das mache ich mit meinem aktuellen Projekt auch so. Ich habe Leute aus dem Bekanntenkreis, die das Projekt finanziell unterstützen, weil sie die Idee toll finden. Dabei gibt es keine Garantie, dass sie ihr Geld zurückbekommen werden. Ich glaube aber, dass dies eine gute Möglichkeit für die Zukunft ist, denn bei den deutschen Kinoproduktionen steckt viel zu wenig Risiko für die Macher dahinter, weshalb sie inhaltlich oft so ungewagt sind.

Info

Ein Beitrag von Benjamin Stromberg.
Das Interview wurde am 06.11.2014 von Dirk Dobiéy durchgeführt.
Bildquelle: Benjamin Quabeck.

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