Der in Berlin lebende Julian Schwokowsky ist ein Künstler, der vor allem auf sein Bauchgefühl hört. Diese Einstellung entfaltet sich bereits zu Beginn seiner Schaffensprozesse: “Ich bin der Meinung, dass ich von jeder Person lernen kann, der ich begegne. Das kann der Dönermann oder ein Kind sein. Das beschreibt so ziemlich meine Haltung gegenüber der Welt: Jeden erst mal als potenrezielles Vorbild sehen, von dem ich mir was abschauen könnte, gerade auch bei Kindern was das Künstlerische angeht. […] Es geht um diese grundlegende Neugier. Die fängt schon an, wenn ich mich bewusst dafür entscheide mal einen anderen Weg nach Hause zu fahren, um zu schauen wie der aussieht. Alles kann irgendwie eine Inspiration sein.” Es ist klar, dass er dabei nicht jede seiner Eindrücke oder Ideen vollends verwerten kann. Darum steht er oft vor schwierigen Entscheidungen, die er vor allem intuitiv trifft: “David Lynch sagte mal, er müsse sich verlieben und dann ist es richtig. Das ist eine Sache des Bauchgefühls und dann weiß man genau, was man umsetzen muss. Das ist das Schwierige daran: Wenn man fünf oder sechs Ideen parallel hat, die auf rationaler bzw. funktionaler Ebene ähnlich gut sein könnten und dann entscheidet man sich für das Eine. Das hat was mit innerer Gewissheit zu tun.”
Bei der Ausarbeitung seiner Ideen kommt es dem Künstler nicht darauf an die Menschen zu belehren, oder ihnen etwas ganz Eindeutiges zu präsentieren: “Für mich ist Kunst eher etwas, das den Menschen aus seiner Verkopftheit befreien kann. […] Meine Haltung ist, dass Kunst etwas ist, bei dem man den Kopf erst mal ausschalten kann. Man schaut es sich erst einmal an, auch wenn man es nicht versteht. Da ist zum Ersten ein visueller Reiz und ich finde es interessant. Dann gehe ich weiter rein, verstehe es aber nicht und gehe an dieser Stelle über mein alltägliches Denken hinaus.” Dabei lässt er oft das Material für sich sprechen, um beim Betrachter Emotionen, oder auch Irritationen hervorzurufen: “Definitiv geht das über diese zwei Felder, das ist ein Ziel meiner Arbeit. Bei mancher meiner Arbeiten […] sieht man eine große farbige Fläche. Die spricht mich erst mal emotional an, es ist die Farbe auf die ich reagiere. Ich gehe darauf zu, weil es mich irgendwie interessiert. Dann gehe ich näher ran und schaue, was dort eigentlich dargestellt ist und was in diesem Bild passiert. Vielleicht verstehe ich es nicht ganz und kann es nicht einordnen. Diese zwei Dinge finde ich höchst interessant: Erstens das Material selber arbeiten zu lassen und anschließend der Prozess, in dem etwas stattfindet, das nicht stimmig einzuordnen ist. Das ist für mich der Moment, in dem die Kunst passiert.”
Ein weiteres wichtiges Thema bedeuten für ihn Freiräume, mithilfe derer er überhaupt erst in kreative Prozesse einsteigen kann. “Die Zeit ist generell für die Kunst bekanntlich ein wichtiger Faktor. Man braucht einen zeitlichen Freiraum, um künstlerisch arbeiten zu können. […] Die besten Ideen kommen dann, wenn man sie nicht herbeizwingt.” Das ist ein Thema, dem Schwokowsky auch im Hinblick auf die Wirtschaft einen hohen Stellenwert beimisst: “Ich mag die Vorstellung eines Unternehmens, das seinen Mitarbeitern bewusst Freiräume gibt, um an eigenen Projekten zu arbeiten, […] in dem Bewusstsein, dass die besten Ideen beim Waldspaziergang oder unter der Dusche kommen. Die kommen nicht am Schreibtisch, an dem man sich zwingt Lösungen zu finden und kreativ zu sein. Wir schaffen Freiräume oder tun sozusagen nichts, um Tun zu schaffen. Erholungsphasen sind äußerst wichtig. Wir sind schließlich keine Computer, die ohne Pause rechnen können. Anders mit Zeit umzugehen ist essentiell, andere Pausenregelungen und Möglichkeiten zu schaffen aus dem Kalkulierbaren auszubrechen.” Dieser Bruch mit der alltäglichen Routine und die Schaffung von Freiräumen kann der Meinung des Malers nach bereits durch zunächst banal erscheinende Maßnahmen gelingen. “Ich suche mir bewusst Dinge, bei denen ich mich als komplett andere Person identifiziere. Zum Beispiel habe ich jetzt angefangen Kung Fu zu machen – eine körperliche Kunst, die auch eine Art des Denkens ist.”
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Einleitung
Julian Schwokowsky wurde am 11.07.1984 in Sulz am Neckar geboren. An der Universität Leipzig studierte er Bildende Kunst Lehramt, um 2008 im selben Studiengang an die UdK Berlin zu wechseln. Seine Bilder, die in Acryl und Öl entstehen, beschäftigen sich mit der Auslotung der Möglichkeiten von Farbe als eigenständige Kraft.
Interview
AoA: Wie bist du zur Kunst gekommen?
Ich würde sagen, dass Kunst mich schon immer umgeben hat. Meine Eltern schätzen Kunst sehr und mein Vater hat gerne gezeichnet. In der Schulzeit habe ich den Kunstleistungskurs gewählt und mich sehr dafür interessiert. Ständig war ich damals am Zeichnen zum Leidwesen meiner damaligen Lehrer. Ich hatte den Drang dazu, mich bildnerisch und mittels Zeichnung auszudrücken. Damals habe ich mir häufig Ausstellungen angesehen, auch weiter entfernte, wie die Art Karlsruhe. Es gab nicht unbedingt ein Kernerlebnis, viel mehr hat die Kunst sich organisch entwickelt. Relativ schnell war dann klar, dass mein Beruf im künstlerischen oder kreativen Bereich anzusiedeln ist. Schließlich habe ich in Leipzig angefangen, Kunst auf Lehramt zu studieren und habe nach einiger Zeit an die Universität der Künste Berlin gewechselt, um mehr Praxis zu bekommen – selbst mehr künstlerisch zu arbeiten.
AoA: Weil du dich als Künstler siehst?
Ja, weil man nur etwas richtig unterrichten und Wissen darüber vermitteln kann, wenn man es auch lebt und wirklich erfahren hat, was es bedeutet. Ich bin noch am Anfang meiner künstlerischen Karriere und habe vor sie weiter zu verfolgen.
AoA: Gab es Erfolgserlebnisse die dich in deinen Entscheidungen bestärkt haben?
Zu Schulzeiten gab es ein Projekt, das wir zusammen mit Künstlern durchgeführt haben: Einen Skulpturenpark, den wir auf einer Sturmbrachfläche zusammen gestaltet haben. Die lokale Presse war vor Ort und wir wurden vom Land Baden-Württemberg subventioniert. Diese Erfahrung, mit den Künstlern zusammen zu arbeiten und zu sehen, was das für Menschen sind – das hat mich sehr beeindruckt. Insbesondere ihre eigene Herangehensweise, wie sie zum Beispiel aus einem Baumstamm mit der Motorsäge ein riesiges Kunstwerk schaffen.
AoA: Hat das dazu geführt, dass du den Abstand verringern konntest und Hemmschwellen abgebaut hast?
Definitiv hat es die Distanz verringert. Einfach deshalb, weil ich Künstler zu dem Zeitpunkt zum ersten Mal als Menschen wahrgenommen habe, mit denen man reden kann, die mir Ratschläge geben und einen Beruf ausüben, der auch für mich in Reichweite ist.
AoA: Der Austausch mit den anderen. Wie ist das bei dir, kennst du als Maler Zusammenarbeit mit anderen?
Ja, ich kenne das. Ich selber habe es allerdings noch nicht ausprobiert. Von Bekannten weiß ich, dass sie zusammen Bilder gemalt haben und ich finde die Arbeiten, die dabei entstanden sind, sehr gut. Es war nicht so, dass man ein Teil nimmt und ein anderes in künstlicher Manier hinzufügt, sondern es ist etwas Neues entstanden – praktisch wie eine neue Person. Das funktioniert. Ein Problem am Künstler sein ist bloß, dass ein gewisses Ego oft mitspielt. Man will sich ausdrücken und sich selbst verwirklichen. Dies mit anderen zusammen zu tun, birgt immer gewisse Probleme, weil Künstler eben gewisse Vorstellungen haben, wie etwas zu sein hat.
AoA: Was hast du für eine künstlerische Haltung?
Ich bin kein politisch orientierter Künstler. Für mich ist Kunst eher etwas, das den Menschen aus seiner Verkopftheit befreien kann. Das kann durchaus schwierig sein, gerade bei konzeptioneller Kunst, die oft eine hohe kognitive Leistung erfordert, um sie überhaupt zu erfassen. Meines Erachtens ist Kunst etwas, bei dem man den Kopf erst einmal ausschalten kann. Man schaut es sich zunächst an, ungeachtet dessen, ob man es versteht oder nicht. Primär ist ein visueller Reiz vorhanden und ich finde das interessant. Dann taste ich mich weiter vor, kann das Kunstwerk aber nicht komplett verstehen und gehe an dieser Stelle über mein alltägliches Denken hinaus.
AoA: Durch Irritation oder Emotion? Ist das dein Wunsch, dass dies ausgelöst wird im Betrachter? Ist das ein Ziel deiner Arbeit?
Definitiv geht das über diese zwei Felder, das ist ein Ziel meiner Arbeit. Bei manchen meiner Arbeiten, wie bei diesem etwas aktuelleren Bild hier (zeigt auf ein Gemälde), sieht man eine große farbige Fläche. Das Blau spricht mich zunächst emotional an, es ist die Farbe auf die ich reagiere. Dann nähere ich mich dem Bild und schaue, was in diesem Bild passiert. Vielleicht kann ich es nicht einordnen, aber das Medium bewegt dennoch etwas in mir. Diese zwei Dinge finde ich höchst interessant: Erstens das Material selbst arbeiten zu lassen und anschließend der Prozess, in dem etwas stattfindet, das nicht zu klassifizieren ist. Das ist für mich der Moment, in dem die Kunst passiert.
AoA: Ist es in Ordnung zu sagen, es gefällt mir?
Das ist immer etwas verpönt. Ich denke irgendwie muss es gefallen, aber gefallen nicht zwingend im Sinne von schön.
AoA: Wäre die Irritation eine Wirkung, die gewünscht ist? Hast du ein Ziel bei der Betrachtung durch das Publikum?
Man macht die Kunst ja nicht nur für sich selbst. Ein Teil von mir denkt beim Schaffen auch immer an den Betrachter und die potenzielle Wirkung auf ihn; zumal man selbst als erster Betrachter fungiert. Doch in den Momenten, in denen wirklich etwas passiert, denke ich nicht daran. Das sind die Augenblicke, in denen das rationale Denken ausgeschaltet ist: Man arbeitet und plötzlich realisiert man, dass man einen großen Schritt vorangekommen ist. Ich denke genau dies sind auch die Chancen, die die künstlerische Arbeit aus wirtschaftlicher Perspektive bietet.
AoA: Gibt es noch andere Punkte, die dir zur Haltung oder zur künstlerischen Position einfallen?
Für mich bedeutet die künstlerische Position, wie ich an meine Arbeit herangehe. In meinem Fall geht es eher um das Material und die Auseinandersetzung mit diesem Material – um etwas zu schaffen, das die Irritation und das Unklare hervorruft.
AoA: Wie ist dein Prozess bei der Arbeit?
Jedes Bild fängt mit einem Gedanken an. Ich sitze in der Bahn oder laufe durch die Stadt und sehe etwas. Ich denke, als Künstler sieht man Dinge mit anderen Augen und nimmt interessante Konstellationen wahr. Zwei Farben oder zwei Formen, die mich interessieren und dann denke ich darüber nach was ich daraus machen könnte. Manchmal tauchen Bilder auch einfach so auf, zum Beispiel im Traum oder in Form einer plötzlichen Idee. Meistens übertrage ich diese Dinge in mein Skizzenbuch, das ich eigentlich immer bei mir habe und entwickle anschließend zwei, drei verschiedene Bildvarianten. Es ist oft der Fall, dass eine ganze Reihe von anderen Bildern dann entstehen, wenn ich am Aufzeichnen bin. Danach überlege ich mir, welche von diesen Skizzen sich anbietet, bis zum Ende ausgeführt zu werden. Anschließend denke ich über das Format nach und sämtliche Randbedingungen werden festgelegt. Welche Farbigkeit soll das Bild haben? Fange ich zunächst mit einer Acrylgrundierung an? und all diese Fragen. Oft passiert es aber auch, dass sich diese Fragen erst im Laufe des Malens ergeben.
AoA: Das hört sich so an, dass du dem Zufall eine Chance gibst, gerade bei den Anfängen? Gibt es auch eine konzeptionelle Planung bei dir?
Ich denke über Serien nach, die ein bestimmtes Thema verfolgen. In der Zukunft möchte ich häufiger versuchen, von einem Thema auszugehen und danach Bilder zu schaffen. Im Moment ergeben sich die Themen über die Bilder.
AoA: Auftragsarbeiten?
Es gibt durchaus Leute, die fragen, ob ich nicht mal ein Bild für sie malen könnte. Das mache ich im Prinzip nicht so gerne, aber Ausnahmen bestätigen die Regel.
AoA: Ruhen diese Skizzen dann eine Weile oder malst du gleich los?
Ich habe zu viele Skizzen, als dass ich zeitlich hinterher kommen würde. Die ruhen erst mal lange Zeit im Skizzenbuch und wenn ich einen Monat später darüber schaue, merke ich auch, dass einige der Skizzen nicht mehr haltbar sind. Dann versuche ich etwas Neues und merke, dass ich das lieber umsetzen möchte.
AoA: Wie viel Zeit vergeht zwischen Skizze und dem Malen selbst?
Es kann Monate dauern. Es kann aber auch sein, dass ich schon nach einer Woche darauf brenne, an einer Sache weiterzuarbeiten, oder diese auch komplett zu verwerfen.
AoA: Was bedingt diese Entscheidungen? Und was war richtig, wenn du dich entscheidest, daran weiter zu machen?
Es hat etwas mit persönlicher Entwicklung zu tun und ob man sich mit einer Idee identifizieren kann. Ich glaube das ist eine Grundsatzfrage. Was war richtig an der Idee? Die Fragen, warum ich Kunst mache und was Kunst überhaupt ist, spielen bei diesen Entscheidungen auch eine Rolle.
AoA: Ist es vielleicht etwas, das zwingend ist?
Dem stimme ich zu. David Lynch sagte einmal, er müsse sich in eine Idee verlieben, dann ist sie richtig. Das ist eine Sache des Bauchgefühls. Dann weiß man genau, was man umsetzen muss. Das ist das Schwierige daran: Wenn man fünf oder sechs Ideen parallel hat, die auf rationaler bzw. funktionaler Ebene ähnlich gut sein könnten. Man entscheidet sich dann dennoch für eine Variante. Das hat was mit innerer Gewissheit zu tun.
AoA: Wie geht es dann weiter?
Ich habe den Malgrund vorbereitet und die Leinwand aufgezogen, alles steht bereit. Dann fange ich mit einer gewissen Anlage, einer Art Skizze, auf der Leinwand an. Anschließend arbeite ich mit vielen verschiedenen Schichten: Acryl- und Ölfarben, die übereinander gelegt werden. Um eine gewisse Leuchtkraft des Materials herauszustellen, lasiere ich einige Farben. Das ist ein langer Prozess, bei dem sich das Bild zum Teil auch gravierend verändern kann. Von der Skizze können am Ende nur noch Rudimente übrig sein oder es kommt etwas komplett anderes dabei heraus. Ich halte mich nicht unbedingt an die Skizze, was ich auch legitim finde. Das ist genau die Chance des künstlerischen Arbeitens: Man hat die Möglichkeit, eine weitere, intuitive Instanz zu nutzen, um Entscheidungen zu treffen. Das kann situations- oder materialbedingt sein.
AoA: Wozu dann die Skizze?
Ich glaube man braucht einen Startpunkt, einen Ankerpunkt. Auch das ist das Schöne an der künstlerischen Arbeit. Von diesem Punkt aus kann es in alle Himmelsrichtungen weitergehen.
AoA: Ölfarbe erzwingt Pausen. Sind diese Pausen wichtig für dich?
Ja, die sind wichtig. Es kann auch vorkommen, dass ich am nächsten Tag auf die Leinwand blicke und weiß, dass ich völlig anders weiterarbeiten muss.
AoA: Künstlerische Krise. Kennst du das?
Auf jeden Fall. Ich finde Krisen enorm wichtig und jeder, der den künstlerischen Weg geht, muss Krisen erfahren, um sich weiter zu entwickeln. Was passiert da? Man kommt an einen Punkt, an dem man merkt, dass etwas überhaupt nicht funktioniert. Man weiß nicht weiter. Man muss loslassen und wird zu einer Entscheidung gezwungen – Ok, ich zerstöre jetzt die ganze Arbeit. Das können auch Affekthandlungen sein: Dass man den Pinsel nimmt und die halbe Fläche komplett übermalt, weil man der Meinung ist, man müsse alles neu machen. Lustigerweise entsteht dann daraus oft die Lösung. In dem Moment, in dem man losgelassen hat, entsteht etwas Neues.
AoA: Wie gehst du mit dem Frust um?
Mittlerweile gebe ich dem Ganzen Zeit. Ich stelle das Bild weg, drehe es um und schaue es ein paar Wochen nicht an. In der Zwischenzeit male ich an etwas anderem weiter.
AoA: Wie stark beeinflusst dich das Feedback von Betrachtern?
Es beeinflusst definitiv meine Arbeit und ich nehme Kritik auch an. Insbesondere von anderen Malerkollegen oder anderen Künstlern, die sich fachspezifisch äußern können. Aber auch gerade die unschuldige Äußerung eines Laien kann enorm hilfreich sein. Unter dem Einfluss von Kritik verschließe ich mich nicht davor, auch etwas am fertigen und entstehenden Bild zu ändern.
AoA: Wann ist das Bild dann fertig?
Wenn man einfach weiß, dass es fertig ist. Den Status „fertig“ gibt es. Ich habe auch schon zu genüge Bilder tot gemalt. Das macht man ein paar Mal und dann merkt man, dass man etwas früher aufhören sollte. Das Bild für eine Zeit wegzustellen, kann helfen.
AoA: Dieser Abstand und das Zeit geben – ist das eine wichtige Komponente?
Die Zeit ist für die Kunst bekanntlich ein wichtiger Faktor. Man braucht einen gewissen Freiraum, um künstlerisch arbeiten zu können. Es gibt aber auch zeitliche Knappheit. Wenn ein Limit an Zeit gesetzt ist, wie zum Beispiel vor einer Ausstellung, dann ist zwar einerseits ein Druck, doch ich würde sagen, dass dieser zeitliche Druck einen auch hemmen kann, denn die besten Ideen kommen dann, wenn man sie nicht herbeizwingt.
AoA: Risikobereitschaft und Mut, sind das Themen für dich?
Unbedingt. Der lange Herstellungsprozess eines Bildes bringt Schwierigkeiten mit sich. Wenn das Bild einigermaßen fertig ist und plötzlich realisiert man, dass es so nicht funktioniert und dass man etwas Neues machen müsse: Dann gehört eine Menge Mut dazu, es trotzdem zu wagen. Das Thema, das Material, die Leuchtkraft und das Potenzial der Farben – diese Dinge kann man lange erforschen. Das alles auszuprobieren erfordert Mut und Risikobereitschaft.
AoA: Malst du an mehreren Bildern gleichzeitig?
Ja. Schon allein wegen der Ölfarbe ist es unbedingt nötig, an mehreren Bildern parallel zu arbeiten.
AoA: Das Auslösen von Emotionen ist dir wichtig. Ist das ein übergeordnetes Ziel?
Ja, das ist ein Ziel. Je nachdem wie konkret die Bilder sind, geben auch die Titel zum Teil Hinweise. Das kann nach dem ersten visuellen Eindruck, der Irritation und der Emotionen, helfen die Richtung vorzugeben. Im weitesten Sinne habe ich auch ideelle Anliegen, die aber eher sekundär sind. Die Titel geben Indizien auf etwas, das man im ersten Moment gar nicht wahrgenommen hat. Vielleicht führen aufkommende Fragen dann zu den Themen, die mir am Herzen liegen.
AoA: Kommentierst du deine Kunst?
Ja, wobei ich finde, dass sie zunächst für sich selbst wirken sollte und im besten Falle muss man gar nicht darüber reden. Es ist aber sehr ergiebig und auch wichtig darüber zu sprechen.
AoA: Was ist Erfolg für dich?
Das deckt sich ein bisschen mit dem vorher Gesagten. Erfolg ist für mich, wenn die Kunst die Leute anspricht und sie sich damit auseinandersetzen, wenn sie bestenfalls auch Gefallen daran finden und letztlich zu einer Selbstreflexion angeregt werden. Ich sehe in der Kunst letztlich mich selbst. Einen ganzheitlichen Denkprozess über meine Bilder anzustoßen, der über bloßes Intellektualisieren hinausreicht, bedeutet für mich Erfolg. Finanziellen Erfolg gibt es auch, aber das ist eine ganz andere Ebene.
AoA: Was für eine Bedeutung hat die Historie der Kunst für dich und deine Arbeit?
Für mich persönlich spielt sie eine zu große Rolle. Bei Videokunst oder Installation hat man nicht ganz so viel Schwere der Ahnen im Nacken. Ich finde es aber interessant, wenn sich Künstler bewusst damit auseinandersetzen. Meines Erachtens wäre es gut, wenn die Kunstgeschichte abgekoppelter wäre. Daraus würde resultieren, dass das jetzt Entstehende in diesem Moment passiert, ohne zuviel Gedanken über das Gewesene. Leider funktioniert das so nicht. Es gab alles bereits in irgend einer Form und man muss vorsichtig sein, dass man nicht etwas macht, das schon mal da war. Das geht aber nur teilweise, denn man wird immer Elemente von anderen Bildern übernehmen.
AoA: Was ist das Neue in deiner Kunst?
Vielleicht ist es eine Art Übersetzung des Zeitgeistes oder von dem was im Moment passiert. Trotzdem muss man sich als Maler gewisser Bausteine der Kunstgeschichte bedienen und sie neu zusammensetzen. Das ist wie ein Puzzle, das man zusammenfügt. Es stellt die eigene Perspektive auf den Zeitgeist dar und man baut gewisse Teile der Vergangenheit ein, oder nicht.
AoA: Du nimmst diese Bausteine, wenn sie dir helfen deinen Zeitgeist zu transportieren?
Für meine persönliche Arbeit bevorzuge ich, es nicht zu tun, aber es ist ein fast unmögliches Unterfangen. Die Malerei ist ein sehr altes Medium. Wenn es ginge, würde ich gerne das Ur-Neue erschaffen. Aber wenn ich mich der Malerei bediene, ist es schwierig. Vielleicht muss ich mich irgendwann von dem Medium verabschieden, um etwas ganz Neues zu machen.
AoA: Was glaubst du, was die Wirtschaft von Künstlern lernen kann?
Das sind Dinge, die zum Teil auch schon in der Wirtschaft gemacht werden. Ein Unternehmen, das seinen Ingenieuren bewusst Freiräume gibt, um an eigenen Projekten zu arbeiten. Auch bei Google wird das praktiziert – in dem Bewusstsein, dass die besten Ideen beim Waldspaziergang oder unter der Dusche kommen. Die kommen nicht am Schreibtisch, an dem man sich zwingt, Lösungen zu finden und kreativ zu sein. Wir schaffen Freiräume oder tun sozusagen nichts, um Tun zu schaffen. Erholungsphasen sind äußerst wichtig. Wir sind schließlich keine Computer, die ohne Pause rechnen können. Anders mit Zeit umzugehen ist essentiell, andere Pausenregelungen und Möglichkeiten zu schaffen, aus dem Kalkulierbaren auszubrechen. Kreativitätstechniken wie Kopfstandtechnik, also Dinge von einer komplett anderen Seite sehen. Wenn ich ein Restaurant eröffne, sollte ich mir überlegen wie mein Service auf keinen Fall aussehen sollte. Das mache ich übrigens in der Kunst auch, das Bild einfach mal um 180 Grad drehen, um zu gucken wie es aussieht. Das hilft oft.
AoA: Wie sieht deine optimale Umgebung aus?
Ich schaffe mir Freiräume, Möglichkeiten, wo ich komplett entspannen kann, zum Beispiel durch Meditation. Auf diese Weise gewinne ich Distanz zum Alltagstrott. Ich habe den Bezug zum Kunstlehrer und Künstler und suche mir bewusst Dinge, die eine komplett andere Identifikation schaffen. Ich habe zum Beispiel angefangen, Kung Fu zu machen – eine körperliche Kunst, die auch eine Art des Denkens ist.
AoA: Das Entdecken von neuen Themenfeldern ist wichtig, um diesen Stand zu erreichen?
Sehr wichtig.
AoA: Man sagt, dass Künstler eine besonders große Neugierde antreibt. Trifft das auch auf dich zu?
Unbedingt. Ich bin auch der Meinung, dass ich von jeder Person lernen kann, der ich begegne. Das kann mein Chef, der Dönermann oder ein Kind sein. Das beschreibt so ziemlich meine Haltung gegenüber der Welt: Jeden erst mal als potenzielles Vorbild sehen, von dem ich mir etwas abschauen könnte, gerade auch bei Kindern was das Künstlerische angeht. Interessant sind in dieser Hinsicht Studien, wo Kinder-Gekritzel und Arbeiten von arrivierten Künstlern von den Betrachtern nicht auseinander gehalten werden konnte. Es geht um diese grundlegende Neugier. Die fängt schon an, wenn ich mich bewusst dafür entscheide, mal einen anderen Weg nach Hause zu fahren, um zu schauen was ich entdecken kann. Alles kann irgendwie eine Inspiration sein. Das kann ein Bild, Musik oder ein Gespräch sein. Das Banale in Bezug zum Menschlichen finde ich sehr interessant. Ich veranschauliche das mal an einem Bild. Dieser Kubus könnte ein Haus sein, oder auch irgendetwas anderes. Oben liegt jemand darauf und man weiß nicht, warum dort jemand draufliegt. Es geht darum, dem Menschen Situationen zu zeigen: Das muss nicht zwingend ein Mensch sein, es könnte auch ein Raum sein, den wir erst mal nicht einordnen können. Das führt zu den einfachen Fragen, warum wir bestimmte Dinge tun. Das können ganz banale Dinge sein.
AoA: Das ist das Wunderbare, dass man von Künstlern an diese banalen Sachen erinnert wird.
In der Tat. Auch Erfolg ist nur ein geistiges Konstrukt, das sich aus ganz vielen kleinen Dingen zusammenfügt.
AoA: Woraus beziehst du deine Leidenschaft?
Etwas zu kreieren, das vorher nicht da war. Ein urmenschliches Bedürfnis. Wir alle wollen etwas Eigenes schaffen, etwas schöpfen.
AoA: Fallen dir noch andere Dinge ein, was die Wirtschaft lernen kann?
Das Thema des Zulassens wäre ein weiterer Punkt. Leider ist bei den meisten Jobs dieser Spielraum nicht gegeben.
Info
Ein Beitrag von Benjamin Stromberg.
Das Interview wurde am 05.06.2015 von Dirk Dobiéy und Dirk Boettcher durchgeführt.
Bildquelle: Julian Schwokowsky.